Seewasserverbund Zürich: Seethermie für nachhaltige Wärmeversorgung
Das Wichtigste in Kürze:
- Seethermie nutzen zum Wärmen und Kühlen
- So funktioniert Seethermie
- In Zürich erprobt seit 2003: Historie der nachhaltigen Wärme- und Kälteversorgung
- Aktuelle Arbeiten am Seethermie-Projekt im Zürcher Seebecken
- Die Grenzen der Saugkraft
- Fische sind nicht taub
- Drei Pumpen auf Reisen
- So arbeitet man unter Wasser
- Teamarbeit für den Seewasserverbund Zürich
- Doppelte Leistung des Seewasserverbundes: Ist das viel Seethermie?
Seethermie nutzen zum Wärmen und Kühlen
Die hydromechanische und die hydroelektrische Nutzung von Wasser ist allgegenwärtig. Vor allem in der Schweiz, dem «Wasserschloss» Europas. Wenn die reissenden Bergbäche und Flüsse im See einmal zur Ruhe gekommen sind, dient das Wasser in erster Linie dem Tourismus, dem Wassersport und der Musse. Doch auch stehende Gewässer bergen Energien, die sich nutzen lassen – zum Beispiel in Form von Seethermie für Wärmenetze mittels Seewasserverbund.
Mit dem Seewasserverbund Fraumünster geht ewz in der bereits dritten und bis anhin grössten Etappe europaweit neue Wege, was die Nutzung von Seethermie anbelangt. In der Planung der Stadt Zürich auf dem Weg zum Netto-Null bis 2040 spielt die Wärmeversorgung mit Seethermie, auch Hydrothermie genannt, und der Ausbau der damit verbundenen thermischen Netze eine zentrale Rolle.
Für den Energieverbund «CoolCity» im Gebiet zwischen Bürkliplatz und Hauptbahnhof hat die Stadt Zürich letztes Jahr einen Projektierungskredit in Millionenhöhe gesprochen.
So funktioniert Seethermie
Seethermie wird beim Seewasserverbund Zürich anders genutzt als etwa Geothermie bei gewöhnlichen Wärmepumpen. Das Wasser aus dem Zürichsee dient nicht nur im Winter zum Beheizen, sondern im Sommer wird dasselbe Wasser über dieselbe Infrastruktur zum Kühlen der angegliederten Gebäude genutzt. Dem Seewasser wird ein Teil seiner Energie zum Heizen oder Kühlen entzogen, wonach es unverändert sauber wieder in die Limmat fliesst. (Siehe auch: Wie funktioniert ein Seewasserverbund?)
In Zürich erprobt seit 2003: Historie der nachhaltigen Wärme- und Kälteversorgung
- Escherwiese: Start Energielieferung 2003 nach Übernahme durch ewz
- Fraumünster: Start Energielieferung 2006, Erweiterung mittels Seewasserpumpen 2022
- Falkenstrasse: Start Energielieferung 2008
- Klausstrasse: Start Energielieferung 2014
- Seefeld: Start 1. Energielieferung 2022
- Coolcity: Abstimmung Thermische Netze in der Stadt Zürich voraussichtlich Ende 2022, Anfang 2023
- Enge: Abstimmung Thermische Netze in der Stadt Zürich voraussichtlich Ende 2022, Anfang 2023
Aktuelle Arbeiten am Seethermie-Projekt im Zürcher Seebecken
Das jetzige Seethermie-Projekt ist einerseits eine Erweiterung des Energieverbundes Fraumünster, die ab Herbst 2023 die Liegenschaften Bahnhofstrasse 3 sowie einige Gebäude rund um den Paradeplatz mit Wärme und Kälte beliefern wird. Voraussichtlich 2028 wird diese Erweiterung im Verbund «CoolCity» aufgehen. Doch der jetzige Ausbauschritt markiert nicht einfach ein «more of the same». Erstmals in Europa wird eine Seethermie-Anlage errichtet, bei der das Wasser auf innovative Weise statt mit Pumpen an Land mittels Pumpen unter Wasser betrieben wird. Der Clou: Die Pumpen «drücken» das Wasser, anstatt es wie bisher anzusaugen.
Die Grenzen der Saugkraft
Der geplante Seewasserverbund Fraumünster umfasst im Endausbau ein Mehrfaches an angeschlossenen Gebäuden als die bisherigen Anlagen. Im gleichen Mass wächst damit auch die Wassermenge, die den Wärmetauschern in den Wärmepumpen zur Kühlung bzw. Erwärmung zugeführt werden muss.
Weil die benötigten Wassermengen nicht nur massiv grösser sind und dieses Wasser zusätzlich noch rund vier Meter über den Wasserspiegel aufs Ufer gesaugt werden müsste, würden die Grenzen der Kapazität der Pumpen überschritten.
Genauer: Bei diesen Anforderungen an die Saugleistung kommt es in den Pumpen zu einer negativen Begleiterscheinung, «Kavitation» genannt. Kavitation beschädigt nicht nur das Material der Pumpenräder, sie reduziert auch den Wirkungsgrad. Dieser Wirkungskoeffizient der Wasserentnahmekraft – das wussten die Mitarbeitenden des ewz selbstverständlich – ist entscheidend höher, wenn statt gesaugt «gedrückt» wird.
Konkret: Das Wasser soll aus dem See von den vorgelagerten Pumpen zu den Energiezentralen «gedrückt», anstatt von diesen angesaugt zu werden.
Versenkte Pumpen
Diese Technik impliziert aber, dass die Pumpen im See versenkt und am Grund montiert werden müssen. Damit ist gleich auch die Herausforderung des Höhenunterschiedes gelöst: Die Pumpen sollten unter dem Wasserspiegel montiert werden, also auf Höhe der Rohre des anzusaugenden Wassers.
Genau dies wird nun bei der jüngsten Ausbaustufe des Seewasserverbund Fraumünster realisiert: Wenige Dutzend Meter vor der Quaibrücke sollte eine Plattform – ausgelegt für vier Pumpen, aber erst mit drei Pumpen bestückt – auf eine Wassertiefe von rund 12,5 Metern in den See abgesenkt werden. Das Wasser wird im See bei sogenannten «Seihern» entnommen, durch ein Rohrsystem angesaugt und unter der Quaibrücke an der Frauenbadi vorbei zu den Kundinnen und Kunden «gedrückt» werden, wo ihm – je nach Jahreszeit – vom Wärmetauscher Kälte oder Wärme entzogen wird. Danach fliesst es zurück in die Limmat.
Fische sind nicht taub
Eine der grossen Herausforderungen für die Konzessionserteilung des Kantons, die es vor der Inangriffnahme des Projektes zu lösen galt, war die Frage nach den akustischen Auswirkungen dieser Unterwasserpumpe auf Fische und andere Seebewohner.
Kein Unternehmen war auf solche Untersuchungen für Süsswasser spezialisiert. Schliesslich erklärte sich die in Winterthur ansässige «Mobilty engineering»-Firma PROSE AG bereit, die Untersuchungen durchzuführen und die – durchwegs entlastenden – Ergebnisse zu zertifizieren. So konnte nachgewiesen werden, dass die Pumpen neben den bestehenden Lärmemissionen z.B. der Schiffe die Unterwasserwelt nicht zusätzlich belasten.
Neben den technischen Abklärungen waren aber auch verlässliche, solvente und langjährige Partner als Ankerabnehmer von Kälte und Wärme nötig. Im Falle dieser aktuellen Ausbaustufe sagte als erstes eine grosse Immobilienstiftung Ja zum Anschluss Ihrer Liegenschaft an den Seewasserverbund, Bankhäuser rund um den Paradeplatz waren ebenfalls schnell überzeugt. Die Finanzierung des Projektes war damit gesichert.
Drei Pumpen auf Reisen
Anfangs Februar wurde die auf dem Gelände des Werkplatzes Tiefenbrunnen gefertigte Pumpenplattform im Wasser versenkt und unter einem Ponton, einer Art schwimmenden Plattform für Arbeiten im und auf dem Wasser, aufgehängt. Gezogen und gesteuert von zwei motorisierten Weidlingen machte sich der Konvoi im Laufe des Morgens auf den Weg ins Seebecken.
Dort sollte in absoluter Präzisionsarbeit die Pumpenplattform abgesenkt und zwischen die beiden bereits Mitte Januar versenkten Rohrsysteme eingepasst, angeflanscht und mit Strom versorgt werden.
Die Herausforderungen: Stromstecker für unter Wasser und Lieferschwierigkeiten Probleme mit der Stromleitung sorgten im letzten Moment noch für eine einwöchige Verzögerung der Arbeiten: Das Zusammenstecken von Stromleitungen unter Wasser erfordert ganz spezielle Stecker, die nicht nur wasserdicht, sondern auch «nass steckbar» sein müssen. Das heisst: Das Wasser muss beim Zusammenstecken vollständig aus den Steckern herausgepresst werden. Diese von der Firma Hydro Group in Schottland stammenden Unterwasserstecker hatten den Zoll in Basel nicht termingerecht passiert.
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Muskeln und Hightech
Die Positionierung des Pontons mit der darunter angehängten Pumpenplattform über dem genauen Standort der Rohrleitungen war ein beeindruckendes Stück Team- und Muskelarbeit.
Im Zentrum: zwei Berufstaucher der Firma Willy Stäubli Ing. AG in Horgen, Loris Brandenberger und Kevin Fäh. Die beiden, so erzählte Brandenberger beim Warten auf die Taucheinsätze, tauchen seit Jahren als Team. Sie verstehen sich blind – zwangsläufig, denn beim Einsatz sehen sie sich nicht.
Arbeitslicht in düsterer Arbeitsumgebung
Apropos sehen: Für Arbeiten, wie in diesem Fall das Anflanschen der Pumpenplattform an die Wasserentnahme- und -rückgabeleitungen, ermöglicht eine Arbeitshöhe von rund zwölf Meter unter Wasser, auf den Einsatz von starken künstlichen Lichtquellen zu verzichten. Unterhalb, so erklärt uns der Tauchprofi Kevin Fäh, sei das Wasser im Zürcher Seebecken zu dunkel für Präzisionsarbeiten wie das zentimetergenaue Zusammenschrauben von Rohren und Pumpen.
Aber auch so ist hier im Seebecken die Situation zwischen den beiden Industrietauchern – der eine im Wasser, der andere im Begleitboot – leicht «spookey»: In diesen Tiefen und bei dieser Art von Einsätzen arbeiten die Taucher nicht mit Helm, sondern mit Druckluftflaschen auf den Rücken. Aber auch bei dieser Tauchform ist der Taucher mit dem Begleitboot verbunden und – wichtig – er ist mit einer Gegensprechanlage mit seinem Tauchkollegen in ständigem Kontakt.
Teamarbeit für den Seewasserverbund Zürich
In diesem Fall ist der Kontakt sogar sehr intensiv. Grund: Die Arbeit des Tauchers wäre schon unter trockenen Umständen Millimeterarbeit. Die Rohre für die Entnahme von Wasser für die Wärmepumpe aus Richtung Rentenanstalt sind rund 350 m lang, die Rohre, die das angesaugte Wasser Richtung Wasserpumpe drücken müssen, liegt gut 250 m von der Frauenbadi entfernt. Auf beiden Seiten sind die Rohre bereits unter Wasser versenkt.
In die schmale, rund sechs Meter grosse Lücke muss nun die Plattform mit den drei vormontierten Pumpen plus einer Vorinstallation für eine allfällig notwendig werdende vierte Pumpe gesenkt und beidseitig an die Rohre angeflanscht werden. Zu diesem Zweck muss die unterhalb des Pontons aufgehängte Pumpenplattform exakt über die Lücke manövriert werden. Mit vier Ankern wird mit sehr viel Handarbeit die Plattform in die exakt genaue Position gekurbelt.
Und als alles klar ist, fährt die Panta Rei an den Anlegeplatz Bürkli und macht Wellen, die die Lage wieder verändern. Immer wieder hört man aus zwölf Metern Tiefe eine gurgelnde Stimme, die vom Taucher übersetzt wird in ein «noch ein wenig gegen den Bürkli». Dann werden die vier Anker an jeder Ecke der schwimmenden Plattform unverdrossen neu justiert – mit Muskelkraft.
Abenteuer unter Wasser
Schliesslich kommt aus dem kleinen gelben Kasten, aus dem ständig ein Atemgeräusch wie auf einer IPS abwechselnd mit einem Gurgeln dringt, der sehr lakonische Satz: «Ein bisschen lang, die Schauben!» «Besser als zu kurz», sagt Pedro, einer der Männer an der Winde.
Die Erklärung für uns Laien: Schrauben ist unter Wasser mit einer simplen Nuss anstrengend. Wenn die Schrauben statt der nötigen 7 cm aber 13 cm lang sind, dann bedeutet das ziemlich viel unnötige Mehrarbeit – bei 12 Schrauben je Flansch und 6 Rohren, die es anzuflanschen gilt. Noch nie was von Schlagschraubern gehört?
Vor zwei Stunden hat Loris noch geplauscht, dass sie unter Wasser so ziemlich alle Arbeiten erledigen, die normale Menschen oberhalb des Wasserspiegels machen: Mauern ausbessern, Kabel legen, Rohrsysteme von Kläranlagen montieren. «Ja», lachte Loris, «auch geschweisst wird unter Wasser. Es geht ein bisschen langsamer, weil die Schweisstemperatur durch das kalte Wasser schneller abkühlt. Und ja: Die Schweissnaht ist weniger schön. Aber wer sieht das schon – unter Wasser.» Und jetzt: Nicht mal einen Schlagschrauber?
Nein, sagt Kevin, der zweite Taucher mit Norwegermütze und Seehundschnauz. Aber nicht wegen des Wassers, sondern wegen der Schrauben: Aluschrauben haben eine Tendenz, sich festzufressen. Also werden sie – oberhalb und unterhalb des Wasserspiegels – von Hand angezogen. Eins zu null für die Profis!
Erneutes Knacken im gelben Kästchen: «Zuviel eingefettet hast Du die Schrauben auch», schnarrt Loris. Auch das ist nicht so harmlos, wie es tönt: Das weissliche Öl verschmiert die ganzen Handschuhe, die Handschuhe werden rutschig, Schraubenschlüssel, Schrauben und andere Werkzeuge rutschen aus. Und klar: So einfach ist das «Auflesen» unter Wasser nicht.
Nach zweieinhalb Stunden sind die Pumpenplattform und die Ansaug- bzw. «Blas»-Rohre fest verschraubt und ein schwieriges Stück Arbeit für eine weitere nachhaltige Wärme-/Kälteversorgung der Stadt Zürich erledigt.
Mitte April sollen die Pumpen erstmals in Betrieb genommen und in den bestehenden Seewasserverbund Fraumünster integriert werden. Die bisherige Leistung des Verbundes wird dadurch verdoppelt.
Durch die Verdoppelung können aus dem Seewasser mit Wärmepumpen 8’800 kW an Heizleistung produziert werden. Mit dieser Leistung könnten mehr als 2’000 Wohnungen nachhaltig mit Heizung und Warmwasser versorgt werden. Zusätzlich kann in Zukunft eine Kälteleistung von 8’400 kW erzielt und zur Versorgung verwendet werden.
Doppelte Leistung des Seewasserverbundes: Ist das viel Seethermie?
«Diese Frage steht nicht im Zentrum», winkt David Füllemann, Projektleiter Energielösungen bei ewz ab. Bei diesem Pilotprojekt stand die Erfüllung des Kundenbedürfnisses nach nachhaltiger und zuverlässiger Wärme und Kälte sowie die Frage nach dem Sinn und der Realisierbarkeit der «versenkten Pumpen» im Zentrum. «Der erfolgreiche Abschluss dieser Erweiterungsetappe des Seewasserverbund Fraumünster ist der Beleg, dass es möglich ist, auf diese innovative Weise, den See energetisch zu nutzen.»
Gerade in städtischen Gebieten, erklärt Füllemann, fehle der Platz, um im Keller jeder Liegenschaft eine Pumpe zu installieren. Da macht es Sinn, Pumpen dort zu installieren, wo es mehr als genug Platz hat: im See.
Mission accomplished!
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