Italien im Schatten?
Kürzlich bei Anne Will im ARD: Im Rahmen der Diskussion über das Spannungsfeld Wohlstand und Klimaschutz liess Christian Lindner von der deutschen FDP wieder einmal aufhorchen. Seine Skepsis gegenüber der Elektromobilität ist bekannt; er verlangte «Technologieoffenheit» und verriet diesmal, was er sich hierunter konkret vorstellen könnte. Deutschland sei ein Energie-Importland und das werde auch so bleiben. Es sei eine Lebenslüge, zu behaupten, Deutschland könne sich selbst ausreichend mit Energie versorgen. In diesem Zusammenhang schlug er vor, dass doch sonnenverwöhnte Länder wie Spanien oder Italien «grünen Sprit und grünen Wasserstoff» erzeugen und diesen dann nach Deutschland liefern sollen.
Was würde denn das im Detail bedeuten? Vorausgesetzt Deutschland will seine Klimaziele erreichen und ersetzt mittelfristig neben der Kernenergie auch alle fossilen Energieträger, sprechen wir derzeit von 3’085 TWh (Terawattstunden) Primärenergie. [Energieverbrauch in Deutschland 2018]
Davon ausgehend, dass die verfügbare Energiemenge nicht reduziert werden soll (durch die Möglichkeiten der Suffizienz und Effizienz), müsste in Italien also allein für Deutschland Wasserstoff mit diesem Primärenergieinhalt produziert werden. Hierfür wäre – bei einem Elektrolyse-Wirkungsgrad von 70% – eine elektrische Energie von etwa 4’400 TWh erforderlich. Das wiederum erfordert bei einem Ertrag von 150 kWh/m² eine PV-Fläche von knapp 30’000 Quadratkilometern. Im Vergleich: Im Photovoltaik-Vorzeigeland Deutschland werden derzeit etwa 40 TWh auf einer Fläche von weniger als 300 Quadratkilometern geerntet.
Die PV-Fläche in Italien würde etwa 10% der Landfläche bedecken. Zieht man in Betracht, dass ein grosser Teil der Fläche (Landwirtschaft, Wald) die Solarenergie selbst benötigt, müsste der Rest wohl mit so viel PV «überdacht» werden, dass Italien sozusagen immer im Schatten läge.
Natürlich ein vollkommen unsinniges Szenario. Auch Spanien und Italien zusammen könnten das nicht stemmen, auch nicht wenn der Energiebedarf mit Hilfe von Effizienzmassnahmen um zwei Drittel geringer wäre. Ausserdem geht es ja nicht nur um Deutschland: Alle europäischen Länder sind heute Energie-Importländer.
Nein, leider: So einfach ist es nicht. Die erforderliche Reduktion von Treibhausgasen kann nur gelingen, wenn die Strategien der Suffizienz, der Effizienz und der erneuerbaren Energien in allen Lebensbereichen Anwendung finden [siehe auch: powernewz-Kolumne Big Picture Klima]. Und der schöne Begriff «Technologieoffenheit» verstellt hier nur den Blick auf das Konkrete, was jetzt verfügbar ist und auch jetzt zur Anwendung gelangen muss.
Grosse Zahlen sind schwierig zu verstehen. Und in diesem Artikel sind wohl zwei Zahlen bzw. deren Einheiten zu klein geraten: «40 TWh auf einer Fläche von weniger als 300 m²» klingt unglaublich effizient. Da dürfte ein k vor den m² fehlen (Quadratkilometer statt Quadratmeter). Das Hundertfache davon wären dann rund 30’000 km², was einem Zehntel von Italien entspräche.
Vielen Dank für den Hinweis, Thomas. Hier hat sich nicht der Autor vertippt, sondern wir in der Korrekturlesung – das ist nun wieder korrigiert. Exgüsi an Christof und unsere Leser/-innen.