«Solarenergie ist die demokratischste Form der Stromgewinnung»
Wagen wir gleich zu Beginn einen Blick in die Kristallkugel: Wird es in der Solartechnologie eines Tages Solarzellen geben, die auch bei sehr schwachem Licht Strom liefern?
Tamás Szacsvay: Die Stromerzeugung ist proportional zum Lichteinfall: je mehr Licht, desto mehr Leistung. Es gibt zwar Solartechnologien, die bei schwachem Licht eine etwas bessere Leistung liefern, aber wenn das Licht nicht da ist, kann auch kein Strom produziert werden.
Wann lohnt sich der Bau einer Photovoltaikanlage?
Sandro Spescha: Eine Solaranlage lohnt sich vor allem, wenn die Energie lokal verbraucht wird. Befindet sich die Solaranlage – wie zum Beispiel die neue Anlage an der Staumauer Albigna (siehe Reportage) – in den Alpen, weit entfernt von den Verbrauchern, müssen sinnvolle andere Finanzierungsmodelle gefunden werden. Hier hat sich das Bürgerbeteiligungsmodell als gutes Konzept erwiesen (siehe Box unten).
Andreas Hügli: Solarenergie ist auch nicht die allein rettende Energieform, um die Stromlücken der Zukunft zu schliessen. Es ist für die Schweiz wichtig, ein Portfolio aus verschiedenen nachhaltigen Stromtechnologien aufzubauen.
Wozu die Windenergie gehört, die wegen den Windturbinen aber oft im Gegenwind steht. Geniessen Solaranlagen gesellschaftlich dagegen eitel Sonnenschein?
Spescha: Bei uns ist die Photovoltaik weitgehend akzeptiert. Anlagen, die auf bereits bestehenden Infrastrukturen wie Häusern oder Staumauern gebaut werden, stossen kaum auf Kritik (zeigte auch ein Nationales Forschungsprogramm). Widerstände kann es hingegen bei Freiflächenanlagen geben.
Szacsvay: Bei Solaranlagen an Gebäuden in gewissen Zonen kann zudem der Denkmalschutz mitsprechen.
Sind Solaranlagen an Häuserfassaden die Zukunft?
Hügli: In der Schweiz werden viele Überlegungen dazu angestellt, wie sich Photovoltaikanlagen in bestehende Gebäude integrieren lassen. Die Gestaltung hat jedoch eine emotionale Komponente. Da man Solarpanels heutzutage aber auch farbig gestalten kann, bieten sich hier neue Möglichkeiten.
Szacsvay: Individuell gestaltete Fassaden sind jedoch wirtschaftlich herausfordernd. Günstig sind Solaranlagen besonders dann, wenn sie aus industriell gefertigten Standardmodulen bestehen. Sobald Sonderformate gefragt sind, kann es teuer werden. Deshalb sucht man nach Wegen, auch individuelle Zellen möglichst kostengünstig herstellen zu können.
Hügli: Andere Flächen rücken ebenfalls in den Fokus, gerade in Ländern wie der Schweiz mit ihren knappen Bodenressourcen. Es wird immer wichtiger, bestehende Infrastrukturen wie Stauanlagen, Kläranlagen und Parkplätze zu nutzen.
Inwiefern sind schwimmende Anlagen, zum Beispiel auf Stauseen, ein Thema?
Spescha: Am Lac des Toules (zwischen Martigny im Kanton Wallis und Aosta, Anm. d. Red.) gibt es bereits ein Projekt, wo eine schwimmende Anlage installiert wird. In Fernost und in stillgelegten deutschen Baggerseen sind solche Anlagen schon verbreitet. Auch auf höher gelegenen Stauseen der Schweiz haben sie Potenzial.
Szacsvay: Alle Stauseen der Schweiz zusammen bilden eine riesige Fläche. Wichtig ist aber, dass sich die Stauseen trotz Solaranlage ohne viel Aufwand unterhalten lassen.
Seit wann nutzt man Sonnenenergie eigentlich zur Stromerzeugung?
Szacsvay: Die ersten Versuche mit Photovoltaik gehen zurück bis ins 19. Jahrhundert. Technisch genutzt wird Solarenergie aber erst seit den 60er- und 70er-Jahren. Circa 1980 ging im Tessin die erste Anlage ans Stromnetz.
Hügli: Einen ersten Schub erhielt die Nutzung der Sonnenenergie vor allem durch die Raumfahrt. Die Herstellungsprozesse für Solarpanels waren damals aber noch sehr energieintensiv. Deshalb hält sich immer noch der Mythos, der Energieaufwand für die Herstellung von Solarzellen sei höher als der Nutzen. Das ist aber längst überholt.
Szacsvay: Bis 2005 war Solarenergie eher etwas für Fans und Freaks. Erst mit der Einführung der Einspeisevergütung im Jahr 2008 erhielt die Solarenergie in der Schweiz Aufwind. Plötzlich gingen tausende Projekte an den Start.
Wo sehen Sie die grössten Vorteile der Solarenergie?
Hügli: Solarenergie ist die demokratischste Form der Stromgewinnung, denn sie steht allen zur Verfügung. Das gilt auch für die Rohstoffe: Silizium ist das zweithäufigste Element auf der Erde. Es wird kaum je Mangelware sein und lässt sich leicht abbauen.
Spescha: Die Solarenergie funktioniert auch in der Wertschöpfung dezentral. Sie schafft Arbeitsplätze in der Region, wie hier bei uns in Landquart.
Szacsvay: Am Anfang muss man zwar in die Solarenergie investieren, aber die Sonnenenergie kommt gratis und die Betriebskosten sind marginal. Man schafft sich Unabhängigkeit. Photovoltaikanlagen sind die günstigsten Stromkraftwerke der Schweiz, wenn es sich um Zubau neuer Kapazität handelt.
Wie hat sich die Solartechnologie bei der Umwandlung von Licht in Strom im Laufe der Jahre verändert?
Szacsvay: Die Solartechnologie entwickelt sich laufend weiter. Bei konventionellen Silizium-Solarzellen gibt es physikalische Limiten, sie liegen etwa bei 28% Umwandlungsgrad. Mit sogenannten Stapelzellen kommt man auf etwa 47% Wirkungsgrad. Sie sind derzeit aber nur für die Raumfahrttechnologie interessant, da sie sehr teuer sind.
Hügli: Die Wirkungsgrade haben sich in den letzten zehn Jahren um mehr als einen Drittel erhöht.
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Welches sind für Sie die spannendsten Entwicklungen?
Spescha: Spannend sind unterschiedliche Spielformen des Energietausches, wie beispielsweise bidirektionales Laden von Elektrofahrzeugen: Die Batterie eines stillstehenden Fahrzeuges kann man so auch als Stromspeicher nutzen, der bei Bedarf angezapft wird.
Hügli: Besonders interessant ist Solarstrom im Bereich des Schwerverkehrs. Ein elektrifizierter Schwerverkehr wäre leiser und könnte in der Nacht unterwegs sein. Tagsüber, wenn die Sonne scheint, ist der Lastwagen am Stromdock und wird geladen.
Szacsvay: Ein wichtiges Schlagwort ist Sektorkopplung – das Zusammenspiel verschiedener Technologien. So entstehen neue Energiemixe, die umweltverträglicher sind. Natürlich hat alles auch seine Schattenseiten, denn auch Solarpanels brauchen Energie und Rohstoffe, doch man wird immer besser.
Wie viel Strom liefert ein Quadratmeter Solarzellen im Durchschnitt heute?
Szacsvay: Die Nominalleistung liegt heute bei etwa 200 Watt pro Quadratmeter.
Spescha: In Albigna kommen so etwa 500’000 kWh pro Jahr zusammen. Dort haben wir einen Ertrag von rund 230 kWh pro Quadratmeter pro Jahr.
Szacsvay: Mit einem Quadratmeter aus Solarenergie fährt man mit einem Elektrofahrzeug etwa 1’250 Kilometer pro Jahr.
Die Solaranlage am Stausee von Albigna ist ja auch deshalb interessant, weil in den Wintermonaten die Sonne nicht vom Hochnebel verdeckt wird und die Schneefläche auf dem gefrorenen See das Licht reflektiert. Wie gross sind die regionalen Unterschiede in der Schweiz?
Szacsvay: Der Unterschied zwischen den Regionen ist im Jahresdurchschnitt weniger gross, als man annehmen könnte. In alpinen Regionen scheint die Sonne zwar häufiger und intensiver und bei entsprechender Anlagenkonzeption ist der Winterstromanteil merklich höher. Die Nähe zum Verbraucher ist aber auch eine relevante Grösse.
Hügli: Im Mittelland, wie beispielsweise in Zürich, reichen zwanzig Quadratmeter Solarpanels für den durchschnittlichen Jahresverbrauch eines Haushaltes. Ein alpiner Standort bringt etwa 20% mehr.
Bürgerbeteiligungsmodell von ewz
Das Bürgerbeteiligungsmodell ewz.solargrischun bietet ewz-Kundinnen und -Kunden die Möglichkeit, selbst ein Stück der Solaranlage Albigna zu besitzen. Von einem halben bis zu fünf Quadratmetern Solarzellen können erworben werden, der Quadratmeter kostet CHF 560. Für jeden Quadratmeter im eigenen Besitz werden bei der Schlussrechnung
180 kWh Strom gutgeschrieben. Der Solarstrompreis beläuft sich so auf günstige 15.56 Rp./kWh.
Übrigens: Mit der 1997 gegründeten Solarstrombörse förderte ewz pionierhaft die Erstellung von Photovoltaikanlagen, als diese noch sehr teuer waren.
Tamás Szacsvay, Andreas Hügli, Sandro Spescha
2012 gründete Andreas Hügli das auf Solarenergie spezialisierte Unternehmen reech mit Sitz in Landquart. Vier Jahre später stiess Tamás Szacsvay als Geschäftspartner dazu; Hügli und Szacsvay teilen sich die Geschäftsführung. Sandro Spescha ist seit 2020 als Projektleiter Energiewirtschaft das jüngste Mitglied des insgesamt vierköpfigen Unternehmens. reech war verantwortlich für die Fachplanung der Solaranlage am Stausee Albigna und hat die notwendige Unterkonstruktion entwickelt. Andreas Hügli ist ebenfalls Gründer des Unternehmens dhp technology, das das Solarfaltdach Horizon entwickelt hat, das sich beispielsweise über Kläranlagen oder Parkplätzen installieren lässt.