Mehr Solarstrom für Zürich – doch wo liegen die Grenzen?
So wichtig die Energiewende für den Planeten Erde und die Menschen darauf ist, so hoch gesteckt sind die Ziele, um sie zu erreichen. Ohne einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energie und weitere Massnahmen wird es nicht möglich sein, die Klimaziele des Pariser Abkommens bis 2050 zu erfüllen – ein Abkommen, zu dem sich auch die Schweiz verpflichtet hat.
Die Stadt Zürich, die bei den Massnahmen eine Vorreiterrolle einnehmen will, möchte noch schneller vorwärtsmachen: Netto Null bei den CO2-Emissionen soll bis 2040 erreicht werden. An der Abstimmung vom 15. Mai 2022 haben die Zürcher*innen dazu grünes Licht gegeben und die PV-Strategie abgesegnet.
Die Stadt muss also Gas geben, oder besser: das Voltmeter hochdrehen. Denn neben anderen Massnahmen will die Stadt die Ziele unter anderem auch mit dem massiven Ausbau der Solarenergie erreichen. Per Ende 2020 wurden auf dem Gemeindegebiet der Stadt rund 30 Gigawattstunden (GWh) Solarstrom produziert. Bei einem jährlichen Stromverbrauch von rund 3000 GWh betrug der Anteil an Solarenergie somit gerade mal ein Prozent.
Erst 1 Prozent Sonnenstrom
«Von den aktuellen 30 Gigawattstunden Solarstrom wurden 4 auf Gebäuden, die der Stadt gehören, produziert», sagt Sven Allemann. Er ist Projektleiter Produktentwicklung von ewz und zuständig für den PV-Zubau auf städtischen Infrastrukturen.
Die Solarstromproduktion soll in den nächsten Jahren markant erhöht werden: Die Gebäude im Besitz der Stadt Zürich sollen bis 2030 das Fünffache des bisherigen Werts liefern – 20 GWh Solarenergie jährlich. Mit dem Solarstrom wird zuerst der Eigenbedarf der städtischen Betriebe gedeckt, die Überschüsse fliessen danach ins ewz-Netz und stehen als ewz.solarzüri-Stromprodukt allen Kund*innen zur Verfügung.
Aus dem gesamten Stadtgebiet (städtische und private Gebäude) strebt Zürich bis 2030 mit einer Steigerung der jährlichen Produktion von heute 30 auf 120 Gigawattstunden die vierfache Menge Solarstrom an.
Grösseres Potenzial für Solarenergie
Theoretisch wäre indessen noch mehr Solarstrom für die gesamte Stadt Zürich möglich, als es die vereinbarten Ziele für 2030 vorsehen. Laut einer Potenzialstudie von Meteotest aus dem Jahr 2021 könnte die Stadt Ende 2030 mit über drei Quadratkilometern Solarmodulen viermal mehr Solarstrom produzieren als angepeilt: 480 GWh – was mehr als 10 Prozent des gesamten Verbrauchs entspräche.
Theoretisch, denn unterschiedliche Faktoren verunmöglichen diesen Zubau. Zuvorderst darf die Stadt private Eigentümer*innen nicht dazu verpflichten, auf ihren Dächern Solaranlagen zu installieren. Laut Allemann müsste der Kanton zuerst entsprechende Gesetzesänderungen vornehmen, damit umfassende Verpflichtungen möglich wären.
Bis dahin sind Mieter*innen, die eigenen Solarstrom nutzen möchten, aufs Beteiligungsmodell von ewz angewiesen: Sie kaufen sich dort quadratmeterweise Solarmodule und erhalten dafür auf der Rechnung Strom gutgeschrieben. Das Modell funktioniert dabei wie ein Crowdfunding: Sind genügend Quadratmeter verkauft, wird eine PV-Anlage errichtet. Das Modell ist bei Zürcher*innen offensichtlich beliebt: Die verfügbaren Solarmodule gehen jeweils weg wie warme Brötchen. Montiert werden die Panels meist von Mitarbeitenden der ewz-eigenen Tochterfirma Suntechnics Fabrisolar.
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Oft fehlt die Traglast
Das volle Solarenergiepotenzial lässt sich derzeit auch wegen des hohen Altbestandes an Gebäuden in der Stadt Zürich nicht ausschöpfen. Mehr als ein Drittel der Flachdächer weist eine ungenügende Statik auf – sie können das zusätzliche Gewicht einer Anlage nicht tragen.
«Wenn die Statik nicht hält, ist das Projekt tot», sagt Sergio Taiana, Projektleiter Realisierung von ewz. Die Flachdächer neuer Gebäude haben dagegen eine genügend hohe Traglast, weil sie beispielsweise begrünt oder als erweiterter Lebensraum genutzt werden, etwa als Pausenplatz auf einem Schulhaus.
In solchen Fällen tut sich jedoch eine Konkurrenzsituation auf: Soll auf dem Dach die Photovoltaikanlage oder das Pausenspiel für Spannung sorgen? Terrassen, Liftschächte oder Dachfenster können den Ausbau ebenfalls behindern.
Eine Begrünung geht in vielen Fällen hingegen gut mit Energie von der Sonne zusammen: Photovoltaikinstallationen können auch wertvolle Schattenspender für Grünflächen sein. Trotzdem: Von den ausgewiesenen Potenzialflächen stehen rund 40 Prozent aufgrund der Konkurrenznutzung nicht zur Verfügung.
Denkmalpflege stellt Sonnenenergie nicht in den Schatten
Auch stellt sich die Frage der optischen Integrität von historischen Bauten und schutzwürdigen Ortsbildern – was die Denkmalpflege ins Spiel bringt. «Mit der Denkmalpflege haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit», sagt Sergio Taiana.
Mireille Blatter, Leiterin Bauberatung vom Amt für Städtebau, bestätigt: «Klimaschutz ist auch für die Denkmalpflege ein zentrales Anliegen, wir nehmen hier eine pragmatische Haltung ein.» Etwa 17 Prozent des Gebäudebestands der Stadt sind im Inventar der schützenswerten Bauten gelistet, jedes dieser Gebäude müsse individuell geprüft werden.
Wenn die Anlage bei einem hochwertigen Objekt kaum einsehbar sei, gebe es gegen PV-Anlagen nichts einzuwenden. Besonders Flachdächer seien unproblematisch. Auf verwinkelten, komplex strukturierten Dächern sei die Installation jedoch schwieriger. «Dort bauen wir aus wirtschaftlichen Gründen aber sowieso keine Solaranlage hin», sagt Taiana.
Farbige Solarmodule nicht wirtschaftlich
Trotz unterschiedlicher Beurteilungskriterien kämen die Denkmalpflege und ewz sowieso meist zum gleichen Schluss: Dort, wo sie aus Sicht der Denkmalpflege nicht erwünscht sind, würden PV-Anlagen auch aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn machen.
Diskutiert wurden hingegen sogenannte In-Dach-Installationen. Das Gebäude von Schutz und Rettung an der Weststrasse wurde zu Testzwecken beispielsweise mit ziegelfarbigen, integrierten Solarmodulen bestückt.
Für die Stadtverwaltung und den Stadtrat kommen solche Anlagen bei städtischen Gebäuden nicht in Frage: Zu schlecht sind ihr Wirkungsgrad und damit auch der ökologische Fussabdruck und die Wirtschaftlichkeit – die Technologie müsse noch stark weiterentwickelt werden. In-Dach-Anlagen bedeuten zudem einen Eingriff in die schützenswerte Dachsubstanz.
Der Hochgeschwindigkeitszug beim Ausbau wird temporär noch von zwei weiteren Faktoren gebremst. «An Solartechnologie aus Asien zu kommen, bereitet uns aktuell die grössten Sorgen», sagt Taiana. Für manche Komponenten muss mit Lieferfristen von bis zu 50 Wochen gerechnet werden.
Noch schwerer ins Gewicht fällt jedoch der Mangel an Fachkräften: Laut Swissolar sind derzeit mehr als 20’000 Vollzeitstellen in diesem Bereich zu besetzen – alleine in der Schweiz.
Förderung von Solaranlagen alleine genügt nicht
Verlassen wir jedoch die Schattenseiten und wenden uns der sonnigen Zukunft zu: Um den Stromverbrauch der Stadt zu decken, eignen sich besonders Gebäude mit grossen, zusammenhängenden Dachflächen: beispielsweise Schulhäuser, Sportanlagen oder auch Wohnsiedlungen.
Eine Solaranlage wie jene auf dem Spital Triemli produziert aufgrund des hohen Strombedarfs hingegen vor allem Strom für den Eigenverbrauch. «Um die Ziele zu erreichen, ist es wichtig, dass Solaranlagen nicht nur für den Eigenverbrauch gebaut werden», sagt Sven Allemann. Sonst würde nicht das ganze Dachpotenzial genutzt.
Ob private Gebäudebesitzende aber mehr als nur für den Eigenbedarf bauen, hänge von diversen Faktoren ab, wie beispielsweise von der Wirtschaftlichkeit oder davon, ob die Gebäudestrategie einen standardmässigen Zubau von PV-Anlagen bei Sanierungen oder Neubauten vorsieht.
Für weitergehende Vorgaben der Behörden müssten zuerst die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Städtische Anlagen würden hingegen sowieso grösser als nur zum Eigennutz gebaut.
Mehr Solarstrom auch für Zentrumsleistungen
Was zuletzt die Frage aufwirft, wo die Stadt Zürich im Vergleich zu anderen Schweizer Städten steht. «Diese Frage lässt sich kaum beantworten», winkt Sven Allemann ab. Der Grund: Jede Stadt und Gemeinde verfüge über einen eigenen Gebäudepark und eine eigene kommunale Energie- und Umweltpolitik.
Zürich erbringe viele sogenannte Zentrumsleistungen. Als Beispiele nennt er den Hauptbahnhof, die städtischen Verkehrsbetriebe und die ETH Zürich, welche nicht nur von den Einwohner*innen der Stadt Zürich genutzt werden. In landschaftlichen Kleinstädten fallen die Zentrumsleistungen hingegen meist geringer aus.
Auch international ist ein Vergleich aktuell nicht möglich. In einer Studie der Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft wurden 2021 zwar internationale Städte miteinander verglichen. Die Schweizer Städte blieben indessen aussen vor, weil sie zum Zeitpunkt der Studie keine konkreten Netto-Null-Ziele vorweisen konnten.
Dies zumindest hat sich in Zürich am 15. Mai 2022 geändert. Und eines ist klar: Auch nach 2030 geht der Ausbau der Photovoltaikanlagen weiter. Denn schliesslich gilt es, fürs ambitionierte Ziel bis 2040 das grösstmögliche Potenzial an Solarenergie auszuschöpfen.
Fazit: Zürich macht mit der Photovoltaikstrategie konkret vorwärts.
– Am akutesten im Moment: Fachkräftemangel
– Genügend geeignete Gebäudeflächen erschliessen dürfen
– Technologien, Wirkungsgrade, Ökologie, Wirtschaftlichkeit, Lieferzeiten
– Ungenügende Statik aufgrund hohem Altbestandes
– Konkurrenzsituation der Nutzungsmöglichkeiten von Dachflächen
– Optische Gründe, Schutz
Wie viel nützt denn dieser zusätzliche Solarstrom überhaupt? Im Winter haben wir doch sowieso zu wenig Strom in der Schweiz, nicht wahr?
Hallo Natalie. Die Schweiz – und damit nicht ewz alleine – muss aktuell zwischen 5 – 10% des Strombedarfs im Winter importieren. Weil ewz und die Schweiz eng in ein gesamteuropäisches Höchstspannungsnetz integriert sind, kann das Thema nicht nur lokal betrachtet werden.
Doch je mehr Photovoltaik, aber auch Wind- und Wasserkraftwerke zugebaut werden, desto eher kann diese sogenannte Winterstromlücke geschlossen werden und die Schweiz sich unabhängig von ausländischer Stromproduktion machen.
Wasser- & Windkraftwerke zuzubauen ist allerdings im Moment noch schwierig, weil dutzende von Projekten blockiert sind. Hier muss der Bund die Verfahren vereinfachen und beschleunigen. 15 Projekte des «Runden Tisch Wasserkraft» wurden gemeinsam mit den grossen Natur- und Umweltschutzverbänden wie Pro Natura, WWF Schweiz, die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz priorisiert und dennoch blockiert ein rel. kleiner Verband die meisten Vorhaben nach wie vor. Und nein, neue Kernkraftwerke sind politisch zur Zeit nicht machbar, vor allem auch nicht, weil es Jahrzehnte braucht, bis dann ein neues ans Netz kommt. Also setzen wir Priorität im Moment bei dem, was machbar ist: Photovoltaik.
Beste Grüsse aus der powernewz-Redaktion