Wo liegt die Zukunft der Wasserkraft?
Knapp drei Viertel des Stroms aus unseren Steckdosen stammt aus erneuerbaren Energien. Den Löwenanteil – genau: zwei Drittel – liefert die Wasserkraft. Nach Norwegen, Island und Österreich belegt die Schweiz damit in Sachen Wasserkraftnutzung in Europa Platz vier. Und wo liegt die Zukunft der Wasserkraft?
Zur Erfüllung der Vorgaben der Energiestrategie 2050 des Bundes ist bis 2035 ein Nettozuwachs der erneuerbaren Energiequellen von jährlich knapp 500 GWh nötig. (Quelle) Die neben der Wasserkraft wichtigsten erneuerbaren Energiequellen Wind, Sonne und Biomasse werden ihre Anteile am Strommix bis zu diesem Zeitpunkt nahezu verdoppeln, die Nutzung der Wasserkraft hingegen wird nur noch marginal zulegen.
Diese Beinahe-Stagnation der Wasserkraftnutzung hat natürliche, gesetzliche und (umwelt-)politische Gründe. «In der Schweiz», schreibt die Schweizerische Agentur für Energieeffizienz (Quelle), «sind die Möglichkeiten zum Bau von Grosswasserkraftwerken an neuen Standorten unter den gegebenen Landschafts- und Gewässerschutzbestimmungen praktisch ausgeschöpft.»
Das langfristige Ausbaupotenzial der Grosswasserkraft bis 2050 schätzte das Bundesamt für Energie (BFE) gerade mal auf 1%. Das trifft auf beide Arten von Grosswasserkraftwerken, Speicherwasser- und Laufwasserkraftwerke, gleichermassen zu, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Varianten der Wasserkraftnutzung
Das Potenzial der Laufwasserkraft kann kaum beeinflusst werden: Der Fluss führt das Wasser, mit dem er gespiesen wird. Wasser, das wegen einer vorübergehend ausbleibenden Nachfrage nach Strom «ungenutzt» vorbeigeflossen ist, bleibt für die Nutzung «verloren».
Dafür greifen Flusswasserkraftwerke bzw. Laufwasserkraft weniger ins Bild einer intakten Landschaft ein als eine massive Staumauer oder ein Staudamm. Allerdings geschehen die «Eingriffe» bei Flusswasserkraftwerken unter der Wasseroberfläche: Für Fischwanderungen sowie den Geschiebehaushalt (Sand- und Kiesbewegungen) bilden sie ein unnatürliches Hindernis.
Allerdings hat die Branche in den letzten 70 Jahren viel dazu gelernt, und es gelten strenge Richtlinien, beispielsweise für Renaturierungen, Fischtreppen oder Restwassermengen. Dafür wurde – dies sei am Rande erwähnt – ein Label mit einem strengen Regelwerk erfunden: Auf freiwilliger Basis können Kraftwerksbetreiber ihre Wasserkraftwerke nach dem strengen Reglement von «naturemade star» zertifizieren lassen und damit auch gleich die Renaturierungen mittels eines Fonds fördern.
Die nutzbare Wassermenge bei Speicherwasserkraft kann hingegen – unter Berücksichtigung der Niederschläge und Gletscherschmelzen – gezielt gesteuert werden. In erster Linie bestimmt das Volumen des Stausees das Potenzial der Wasserkraft, durch die Geometrie und die Neigung der Druckrohre sowie die Steuerung der Wassermenge und der Fliessgeschwindigkeit des Wassers kann unser aller Nachfrage nach flexibel verfügbarem Strom, zumindest teilweise, Rechnung getragen werden.
Flexibilität vs. Landschaftsschutz
Damit sind die elementaren Aspekte der beiden Wasserquellen klar:
- Flusswasserkraftwerke beeinträchtigen die Natur, ihre Flexibilität in der Stromproduktion und ihre Effizienz sind beschränkt.
- Speicherwasserwerke hingegen verändern die Landschaft durch die Stauseen offensichtlich und nachhaltig, ihre einfach steuerbare Verfügbarkeit und ihre hohe Effizienz machen sie aber attraktiv. Und vor allem sind sie prädestiniert für einen äusserst zukunftsfähigen Einsatz, Stichwort Versorgungssicherheit. Doch davon später, nach einem kurzen Blick auf die umweltpolitischen Rahmenbedingungen.
Runder Tisch Wasserkraft
Im Jahr 2020 wurde auf Initiative der damaligen Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ein runder Tisch zur Wasserkraft einberufen.
Ziel war eine gemeinsame Erklärung mit ausgewählten Wasserkraftprojekten sowie Ausgleichsmassnahmen und allgemeinen Empfehlungen zum Schutz von Biodiversität und Landschaft.
Die Ende 2021 verabschiedete Erklärungen enthält 15 Speicherwasserprojekte, welche gemäss heutigem Kenntnisstand energetisch am meistversprechenden sind und gleichzeitig mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Biodiversität und Landschaft umgesetzt werden können.Ihre Realisierung würde eine saisonale Speicherproduktion im Umfang von 2 TWh bis ins Jahr 2040 erreichen.
Umweltpolitische Rahmenbedingungen
Staumauern und die dahinter entstehenden Stauseen verändern Landschaften, indem sie grosse Landstriche unter Wasser setzen. Die Kollisionsgefahr zwischen den Ansprüchen des Landschaftsschutzes inklusive Erhaltung von Biodiversität und Biotopen, in denen schützenwerte Tiere ihren Lebensraum finden, und der Notwendigkeit, die Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen sicherzustellen, ist gegeben. Inwiefern sich die aktuelle Lage mit drohendem Energieengpass im Winter auf potenzielle Bewilligungen auswirkt, wird sich noch zeigen.
Nicht nur im Zusammenhang mit der Nutzung der Wasserkraft, auch Einsprachen gegen die Eingriffe in die Natur durch Windparks und Solaranlagen verlangsamen den Ausstieg aus fossilen Energiequellen auf empfindliche Art. Das Gesetz über den Natur- und Heimatschutz aus dem Jahr 2014 sorgt in diesem Zusammenhang immer wieder für Diskussionsstoff.
Strom zur Stromproduktion?
Dass in Zukunft der Ausbau der Wasserkraft nur noch sehr beschränkt möglich sein wird, heisst aber keineswegs, dass die Bedeutung der Wasserkraftnutzung schwinden wird. Als Quellgebiet von Rhein, Rhone, Reuss und Inn ist die Schweiz das Wasserschloss Europas; die Wasserkraft wird ihren Platz als anteilsmässig wichtigste erneuerbare Energie in unserem Land konsolidieren, denn sie ist wirtschaftlich und ökologisch klug.
Möglicherweise wird aber je nach Umfeld die Kombination von Wasser mit anderen erneuerbaren Energiequellen den weiteren Ausbau der Nutzung des Wassers vorantreiben.
Tatsächlich wurde beispielsweise im Bergell eine Staumauer mit der Nutzung der Solarenergie gekoppelt, indem die direkte und die reflektierende Sonneneinstrahlung der Stauseenoberfläche für Photovoltaik-Anlagen genutzt wird. Sie produziert 25% mehr Energie als eine gleiche Anlage im Flachland.
Die Gründe: bessere Sonneneinstrahlung, der steile Winkel, in dem die Solarpanels angebracht wurden, weniger Nebel im Winter, Reflektion der Sonnenenergie durch die Wasseroberfläche sowie den Schnee, der meist bis in den Sommer liegen bleibt, und nicht zuletzt kühlere Temperaturen, denn Solaranlagen benötigen zwar Licht, aber sie brauchen keine Hitze, weil diese den elektrischen Widerstand der Stromkreise erhöht.
Seit September 2020 ist die Anlage in Betrieb und liefert 500 Megawattstunden Solarstrom pro Jahr. Das entspricht dem Verbrauch von 210 Stadtzürcher Haushalten (siehe «Solarenergie von der Staumauer: Sonne und Wasser führen in die Energiezukunft»). Als Relation doch wichtig: Die Solarpanels produzieren einen Promillebereich der Wasserkraftwerksgruppe Bergell.
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Restwassernutzung
Ein kleines, aber wertvolles Puzzlestück zur nachhaltigen und massgeblichen Erhöhung des Nutzungspotenzials der Wasserkraft besteht darin, möglichst kein Wasser «ungenutzt» abfliessen zu lassen.
Früher floss Restwasser (das Wasser, welches nicht durch ein Kraftwerk und die Turbinen hindurchgeleitet werden darf, um auch unterhalb eines Stauwerks ganzjährig minimal Wasser als Lebensgrundlage für Flora und Fauna zu sichern) ungenutzt neben dem Kraftwerk vorbei. Heute wird auch dort – wo ökologisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll – eine kleine Turbine eingebaut, um die Kraft dieses Wassers zur Stromproduktion zu nutzen.
Beim Staudamm Marmorera beispielsweise wird heute diese gesetzlich vorgesehene Restwassermenge, das sogenannte «Dotierwasser», genutzt. Dafür wurde die Dotiereinrichtung mit einer «Durchström-Turbine» ergänzt, und das so entstandene kleine Dotierkraftwerk produziert nun jährlich rund 1,3 Gigawattstunden einheimischen Naturstrom. Ein noch kleiner, aber wichtiger Beitrag zur Versöhnung von Naturschutz und Wasserkraftnutzung.
Mehrmalige Nutzung erneuerbarer Energie
Die sogenannte Kleinwasserkraft hat heute ebenfalls ihre Berechtigung: Vermehrt auch dort, wo es sich früher nicht gelohnt oder technisch noch nicht möglich gewesen wäre. So ging zum Beispiel das Kleinwasserkraftwerk Adont in Graubünden 2022 an’s Netz.
Effizienter und bereits erfolgreich erprobt ist die Idee, das zentrale Element eines Speicherwasserwerks – das Wasser – mehrmals zu nutzen. Bereits im 18. Jahrhundert pumpten Windräder Wasser in höhergelegene, in der Regel künstlich angelegte Waldweiher, aus denen anschliessend Mühlen und andere handwerkliche Betriebe kontinuierlich gespiesen werden konnten.
Das Pumpspeicherprinzip
Der entscheidende Punkt liegt in der erneuten Nutzung des Wassers, nachdem es die Turbine angetrieben hat. Das Prinzip: Das in einem Kraftwerk genutzte Wasser wird nach dem Durchfluss durch die Turbinen gesammelt und wieder in den Stausee hochgepumpt.
Das hat sehr viele Vorteile: Die Energie des Wassers wird grundsätzlich nachhaltiger, weil mehrmals genutzt. Das ist zusätzlich attraktiv, weil der Strom genau dann produziert werden kann, wenn er benötigt wird. Oder dieses Hochpumpen ist notwendig, wenn durch geringe Niederschläge die Stauseen nur wenig gefüllt sind.
Dank der Pumpspeicherung wird der Stausee damit zu dem, was in der gesamten Elektrizitätsdiskussion als wichtigste Schwachstelle gilt: das Speichern von Strom. Zusammen mit dem Rückpumpen wird der Stausee also zur natürlichen Batterie. Das zeigt uns die Zukunft der Wasserkraft.
Nicht-erneuerbaren Strom nutzen für Pumpenbetrieb – sinnvoll oder irrsinnig?
Die Akzeptanz von Pumpspeicherkraftwerken ist trotz der Vorteile umstritten. Strom einsetzen, um Strom zu erzeugen – sind wir bei den Schildbürgern? Zumal stets vorgerechnet wird, dass das Hochpumpen von Wasser mehr Strom verbraucht, als durch das hochgepumpte Wasser anschliessend wieder produziert werden kann!
Der Gipfel der Vorwürfe: Bei Pumpspeicherkraftwerken werde zu wenig kritisch auf die Herkunft des Stroms geachtet. Der billigste Strom sei aber nicht immer der sauberste. Erstaunlich: Alle Vorwürfe stimmen – und sind gleichzeitig Ausdruck von Unwissen über die Funktionsweise des europäischen Stromhandels, der Weigerung der Akzeptanz historischer Entwicklungen und umweltpolitischer Naivität.
Tatsächlich verschlingen die knapp 40 Pumpspeicherwerke in der Schweiz grosse Mengen an Strom. Und tatsächlich wird heute noch oft in der Nacht mit sogenanntem «Überschussstrom» aus Atomkraftwerken gepumpt. Nur: Atomausstieg geht nicht an einem Tag.
Mit dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie sind nicht alle AKWs von heute auf morgen weg vom Markt. Elektrizitätswerke, wie auch ewz, haben sich vor Jahrzehnten am Bau von AKWs beteiligt, der Strom, der bis zur definitiven Abschaltung noch produziert wird, kann mittels Pumpspeicherwerken noch klimafreundlich und sinnvoll genutzt werden. Wenn er nicht genutzt würde, würde er trotzdem produziert. So viel zum Thema historische Altlastenbewältigung.
Zudem hat ewz übrigens versucht, die Stadtzürcher Beteiligungen zu verkaufen – ohne Erfolg.
Nicht wie viel, sondern wann – die Sache mit der Volatilität
Zurück zu den Pumpspeichern: In der Tat wird – je nach Tages-, Jahreszeit und Wetterverhältnisse – zuweilen mehr Strom für das Zurückpumpen von Wasser verwendet. Und das macht Sinn, denn in der Stromproduktion geht es nicht nur um die Menge des Stroms, sondern vor allem um die zeitgenaue Befriedigung des Strombedarfs.
Im Idealfall erfolgt das Rückpumpen natürlich mit Strom, der aus Solar- oder Windkraft gewonnen werden kann. Weshalb das – abgesehen von der Frage der Kommerzialität – durchaus sinnvoll ist, hängt mit der Volatilität von Energiequellen ab.
Die Nutzung von Solar- und Windenergie ist zwar äusserst umweltschonend, sie unterliegt aber saisonal oder auch im Tagesverlauf sehr grossen Schwankungen. So weht der Wind im Herbst und Winter kontinuierlicher, die Sonne lässt sich im Unterland dann meist seltener blicken als im Sommer.
Gerade in Mitteleuropa sind wind- und sonnenarme Herbst- und Wintertage nicht selten, Sonnen- und Windenergie deswegen volatil verfügbar. Wasserkraft hingegen steht – auch dank Speicherung (mit und ohne Pumpen) – planbar stets zur Verfügung. Kurz gefasst: Der Stausee ist die grosse Batterie, die auf Knopfdruck Strom liefern kann.
Versorgungssicherheit – wir brauchen IMMER Strom
Zudem leisten die Pumpspeicherkraftwerke einen Beitrag an die Versorgungssicherheit. Bei instabilen Lagen haben diese immer wieder das Stromnetz stabilisiert, da sie rasch einsatzbereit sind. Hier liegt auch die Zukunft der Wasserkraft.
Produktion und Nachfrage nach elektrischer Energie haben sich auch durch die rasante Entwicklung der E-Mobilität und die umfassende Digitalisierung stark erhöht; überdies hat diese Entwicklung zu einer fundamental veränderten Nachfrage über den Tag und das Jahr hinweg geführt.
Damit sind die Anforderungen an die Logistik des Stroms und die Netzstabilität massiv komplizierter und anspruchsvoller geworden [siehe Artikel So fit ist unser Stromnetz für die Elektromobilität].
Der Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen durch den Bundesrat torpediert die Sicherheit der Stromversorgung der Schweiz ebenfalls spürbar. Es gibt wichtige Fragen zu klären bezüglich Bedürfnisse der Schweiz für die künftige Stromversorgung.
Bekanntlich ist Strom für unsere Gesellschaft überlebenswichtig. Medizin, Wasserversorgung, Kommunikation, Mobilität, Wärme, Nahrungsmittelproduktion, Sicherheit sind zu 100% von der garantierten Versorgung mit Strom abhängig.
Stromnutzung und Stromangebot aber machen an politischen Grenzen keinen Halt. Die Anbindung an das europäische Stromnetz ist für unsere Existenz zentral, nicht nur physikalisch, sondern auch politisch. Wenn es um die Zukunft der Wasserkraft geht, ist es attraktiv, in einem Schloss – genauer: einem Wasserschloss – zu thronen. Einem Dornröschenschlaf dürfen wir uns nicht hingeben, um nicht existentiell wichtige Entwicklungen zu verschlafen.
Warum ewz und die Stadt Zürich konsequent auf erneuerbare Energien setzen und wie wichtig die Stromproduktion aus einheimischer Wasserkraft ist, erfahren Sie auf unserer Website.
In der ewz-Chronik finden Sie zudem die Meilensteine der Stadtzürcher Elektrifizierung ab 1890 sowie viele Bildimpressionen aus dieser Zeit im Zürcher Stadtarchiv.
Kleine Fragen:
Was ist sauberer elektrischer Strom?
Wie will man unterscheiden ob an der Steckdose Strom aus Braunkohlekraftwerken stammt?
Was macht das EWZ dass wegen der Manie der Speicherung von Wasser in den Stauseen Schafherden wegen Wassermangel dezimert werden (wenn Wölfe einige Schafe reißen werden diese zum Abschuss freigegeben) wenn aber oben am Duanpass kein Wasser mehr aus den Quellen kommt heisst es Pech gehabt.
Guten Tag Herr Gysel. Was Naturstrom ist und inwiefern jede bestellte – und damit auch zu produzierende – Kilowattstunde ’sauberer› Strom nachweislich ins Stromnetz gelangen muss, erfahren Sie auf dieser Seite, inklusive Erklärfilm: https://www.ewz.ch/de/private/strom/produkte/naturstrom.html
Bezüglich Duanpass sind wir die falsche Ansprechpartnerin, da ewz keine Wasserfassungen hat bzw. unsere zur Wasserkraftnutzung im Bergell keinen Einfluss auf das hydrologische System auf dem Duanpass haben. Beste Grüsse, ewz