Energieeffiziente Gebäude: Ist mehr Nutzen ohne Abstriche möglich?
powernewz sprach mit Matthias Sulzer über die Themen Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Energiewende im Zusammenhang mit Gebäuden und Arealen. Sulzer ist Leiter des Swiss Competence Center for Energy Research on Future Energy Efficient Buildings & Districts (SCCER FEEB&D).
Prof. Matthias Sulzer (*1969 in Schaffhausen) studierte an der Hochschule Luzern Ingenieurwissenschaften mit dem Schwerpunkt Gebäudetechnik und an der Universität New South Wales Wirtschaft mit Vertiefung Energie. Er forscht an der Empa und lehrt an der ETH Zürich und der Hochschule Luzern. Seit 2017 ist er Leiter des Swiss Competence Center for Energy Research on Future Energy Efficient Buildings & Districts (SCCER FEEB&D).
Was muss ich mir unter dem Bereich Energieeffizienz im Gebäudebereich überhaupt vorstellen?
Als Energieeffizienz bezeichnet man das Verhältnis zwischen einem bestimmten Energieaufwand und einem gewünschten Nutzen daraus. Auf Gebäude bezogen bedeutet das beispielsweise, wie gross der Heizaufwand sein muss, den es für die gewünschte Temperatur braucht. Je weniger Energie man für diesen Zweck benötigt, desto energieeffizienter ist ein Gebäude.
Warum ist das für die Ziele der Energiestrategie 2050 und die Energiewende so wichtig?
Die Steigerung der Energieeffizienz ist ein zentrales Element in der Energiestrategie des Bundes. Durch einen effizienteren Umgang mit Energie wird es möglich, einen gewünschten Nutzen zu erzielen, ohne Abstriche machen zu müssen. Und dabei wird gleichzeitig auch der Energieaufwand gesenkt. Das macht ökonomisch Sinn und hilft dabei, die steigende Energienachfrage in Zukunft zu bremsen. Und drittens wird dadurch auch weniger CO2 ausgestossen. In der Schweiz verbrauchen Gebäude heute rund 45 Prozent der Primärenergie und sind für 25 Prozent unseres CO2-Ausstosses verantwortlich. Letzteres liegt hauptsächlich an der grossen Anzahl von Öl- und Gasheizungen. Der Gebäudepark im Land wird dadurch zu einem gewichtigen Faktor in der «Netto-Null-Strategie» des Bundesrates.
Wie steht es denn heute um den Energiebedarf bzw. die generelle Energieeffizienz von Schweizer Gebäuden?
Im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden hat die Schweiz schon lange eine Vorreiterrolle in Europa inne. Ein gutes Beispiel dafür ist der Minergie-Baustandard, den es bereits seit Mitte der 90er-Jahre gibt und der heute nahezu als Baustandard gilt. Neue Gebäude sind hierzulande sehr energieeffizient. Trüber sieht die Bilanz aber im Bereich der Altbaubestände aus. Und hier liegt denn auch die grosse Herausforderung für die Zukunft. Nämlich in der Frage: Wie wird es möglich sein, dass der bebaute, urbane Raum mit seinem grossen Altbaubestand insgesamt energieeffizienter und vor allem auch CO2-frei betrieben werden kann?
Bei Altbauten stellen wir oft fest, dass es wenig praktikabel und wirtschaftlich wäre, diese vollumfänglich in energetisch zeitgemässe Gebäude umzubauen. Es würde auch viel zu lange dauern, den gesamten Gebäudebestand zu sanieren. Bei vielen alten Gebäuden ist es sinnvoller, eine partielle Erhöhung der Energieeffizienz zu erzielen. Also beispielsweise durch das Auswechseln der Fenster oder das Dämmen der Dächer. Gleichzeitig müssen erneuerbare Energien für das Heizen genutzt werden. Das Ziel ist es, dass bis spätestens 2050 die Wärme für Heizung und Warmwasser ausschliesslich über erneuerbare Energien gedeckt wird. Das Verbrennen von Öl und Gas, um ein Gebäude zu heizen oder Warmwasser bereitzustellen, ist dann Vergangenheit.
Und damit kämen dann die erneuerbaren Energien ins Spiel?
Genau. Gebäude spielen bei der Gewinnung und Nutzung von erneuerbaren Energien wie Solar-, Geothermie-, Biomasse- oder auch Abwärmenutzung eine wichtige Rolle. Wie solche Lösungen im einzelnen Fall aussehen könnten, muss für jeden spezifischen Ort genau beurteilt werden, damit das vorhandene Potenzial optimal genutzt wird. Je nach Gegebenheit eignet sich die eine oder andere erneuerbare Energie oder auch eine Kombination verschiedener Quellen. Erneuerbare Energiequellen sind kleinskalig und grossflächig verteilt. Durch eine Energiegewinnung, -umwandlung, -speicherung und -nutzung vor Ort ergeben sich kurze Transportwege und somit weniger Verluste. Das sind Vorteile, welche heute in lokalen, dezentralen Energiesystemen genutzt werden müssen.
Was macht den urbanen Raum in diesem Kontext speziell?
Vor allem seine Komplexität und bauliche Dichte. Für ein Quartier mit bestehenden Gebäuden unterschiedlichen Alters ein Energiekonzept zu entwickeln, ist bei Weitem viel anspruchsvoller als für ein neues Quartier auf grüner Wiese. Gebäude haben einen Lebenszyklus von 60 bis 100 Jahren. Trotz der guten baulichen Basis müssen energetische Sanierungen berücksichtigt werden, um die Energieeffizienz zu steigern. Weiter müssen auch neue Anlagen installiert werden, um erneuerbare Energien zu gewinnen. Innert weniger Jahre wird man also in einer relativ schwierigen baulichen Umgebung energetisch sinnvolle Lösungen für die nächsten Jahrzehnte finden müssen. Dafür müssen Strassen geöffnet, neue Infrastrukturen gelegt und Heizungen erneuert werden. Und noch vieles mehr. Bedenkt man nur schon die Planungszyklen für bestimmte Erneuerungsprozesse in Städten, die manchmal Jahre dauern, wird allein das schon eine grosse Herausforderung sein. [Siehe auch Artikel zur Stadtentwicklung Zürich]
Was müsste denn geschehen, dass die Ziele der Energiestrategie 2050 im Bereich energieeffizientes Bauen erreicht werden könnten?
Der Weg zu diesen Zielen wird steinig sein. Wir haben heute Energiesysteme, die funktionieren. Trotzdem müssen wir neue Energiesysteme bauen, welche energieeffizienter und CO2-frei sind. Nur über wirtschaftliche Anreize wie Subventionen wird das nicht zu erreichen sein. Das grosse Problem dahinter ist, dass die Nutzung bzw. Verschmutzung der Natur heute nichts kostet. Die Umwelt muss als Allmende verstanden werden, die der Staat gerecht verteilt und nachhaltig bewirtschaftet.
An welche Massnahmen denken Sie hier konkret?
Heute gibt es bereits eine ganze Reihe von Ansätzen zur Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden. Auf der regulatorischen Seite denke ich dabei beispielsweise an die «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich» (MuKEn). Mit ihnen können Energievorschriften für Gebäude im kantonalen Recht verankert werden. Im Subventionsbereich ist beispielsweise das Nationale Gebäudeprogramm von Bedeutung, das energieeffiziente Sanierungen von Gebäuden fördert. Hingegen fehlt hier noch ein koordiniertes Vorgehen, wie der Staat den Zugang zu erneuerbarer Energie für alle Gebäudebesitzer und Mieter vereinfacht.
Und auch Energieberatungen, Einsparungen und neue Forschungsansätze werden zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Nutzung der erneuerbaren Energie künftig wohl wichtig sein?
Richtig. Mit solchen Aspekten setzen wir uns im Kompetenzzentrum auseinander und tragen die Resultate über Symposien, Workshops und Publikationen an die Öffentlichkeit. Am Ende des Tages zählt jedoch nur diejenige Forschung, welche ihre Wirkung in der Gesellschaft entfalten kann. Ein ganz aktuelles Projektbeispiel dafür ist die «Urban Sympheny AG». Mit diesem Spin-off ermöglichen wir ab September 2020 den Zugang zu den Resultaten der Energieforschung aus den vergangenen sieben Jahren in Form einer Software. Mittels Algorithmen rechnet das System tausende Energieversorgungsvarianten für ein bestimmtes Gebäude, ein Quartier oder eine Stadt aus und bietet dem Energieplaner eine Auswahl an optimalen Lösungen. Optimal heisst in diesem Zusammenhang minimaler CO2-Ausstoss bei minimalen Kosten. Mit gängigen Methoden wie Excel ist das heute nicht mehr zu schaffen.
Wir befinden uns heute im modularen Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa und der Eawag, genannt NEST. Welche Rolle spielt dieses Gebäude für Ihre Arbeit?
Das NEST ist für uns von enormer Bedeutung. Durch seinen modularen Aufbau können wir zeigen, wie dezentrale Energiesysteme auf Stufe Quartier bis hin zur Stadt aussehen können, und neue Ansätze in der Praxis erproben. Und das alles sektorübergreifend. Also in Kombination mit der urbanen Mobilität oder der Digitalisierung. NEST ist ein Demonstrator, mit dem wir der Industrie zeigen können, was unsere Forschung zu ihrer Arbeit beitragen kann. Das hilft dabei, dass die von uns gewonnenen Erkenntnisse auch Eingang in die Bau- und Immobilienbranche finden und umgesetzt werden können. Gerade hier ist das besonders wichtig, weil die Forschung und Entwicklung im Baubereich heute noch einen anderen Stellenwert als beispielsweise in der Pharmaindustrie hat. Forschungsprojekte für das Baugewerbe müssen viel weiter fortgeschritten sein, damit am Ende daraus auch ein kommerziell erfolgreiches Produkt hervorgeht.
Als Energieeffizienz bezeichnet man das Verhältnis zwischen einem bestimmten Energieaufwand und dem gewünschten Nutzen daraus. Auf Gebäude bezogen bedeutet das beispielsweise, wie gross der Heizaufwand sein muss, den es für die gewünschte Temperatur braucht. Je weniger Energie man für diesen Zweck benötigt, desto energieeffizienter ist ein Gebäude.
Mit Effizienzförderung und erneuerbaren Energien stehen zwei probate Strategien zur Verfügung: Hier finden Sie das Pro und Kontra.
Im modularen Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa und der Eawag, genannt NEST.
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Energieeffiziente Projektbeispiele finden sie hier übrigens ebenfalls.