Smart City Barcelona:
«Nur so kann eine digitale Demokratie nachhaltig sein»
In unserer Reihe zum Thema Smart City richten wir nach Reykjavik den Blick nach Barcelona. Ähnlich wie in Island kommt auch in der katalonischen Hauptstadt eine digitale Plattform zum Einsatz, auf der die Bevölkerung Projektvorschläge einreichen und darüber abstimmen kann. Die vom Stadtrat eigens entwickelte Plattform Decidim wurde zwischen 2016 und 2019 erstmals eingesetzt, um gemeinsam mit den Einwohnerinnen und Einwohnern einen strategischen Stadtplan zu entwerfen. 2020 wird über die Plattform nun auch das «Participatory Budgeting» erprobt, wobei die Bevölkerung nicht nur über ein Projekt, sondern auch über die Höhe des Budgets abstimmt, das dafür eingesetzt werden soll.
In Barcelona läuft die Partizipation zudem nicht nur auf digitalem Wege ab: Bei Quartierversammlungen wird über mögliche Projekte diskutiert, die anschliessend auf Decidim eingereicht werden. «Wir möchten den Ablauf möglichst inklusiv gestalten, indem wir der Bevölkerung unterschiedliche Möglichkeiten bieten, um am politischen Geschehen teilzunehmen», sagt Arnau Monterde, Projektleiter von Decidim für die Smart City Barcelona. Seit Decidim in Anwendung ist, stelle er ein Umdenken bei der Stadtbevölkerung fest. «Es herrscht ein grösseres Bewusstsein dafür, dass der öffentliche Raum von allen mitgestaltet werden kann», fährt Monterde fort. «Ich denke, dass solche partizipative Plattformen die Bevölkerung motivieren, sich politisch vermehrt zu engagieren.»
Big Data: privat oder öffentlich?
Bei digitalen Plattformen wie Decidim stellt sich jeweils die Frage, wie die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer gewährleistet werden kann. Die Stadt Barcelona lanciert dieses Jahr eigens dafür ein Pilotprojekt mit DECODE, dem Decentralised Citizens Owned Data Ecosystem. Das Ökosystem ist eine Erweiterung von Decidim und wird von Horizon 2020 finanziert – einem Programm der Europäischen Union, das Projekte im Bereich Forschung und Innovation fördert. DECODE funktioniert wie folgt: Es gewährleistet, dass die Daten anonym bleiben und die Nutzerinnen und Nutzer selbst entscheiden können, welche Daten sie privat halten und welche sie der Stadt zur Verfügung stellen. Und selbst wenn sie Daten freigeben, können diese nicht einer bestimmten Person zugeordnet werden.
Entwicklung: offen und demokratisch
Ebenso wichtig wie die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu wahren, ist auch die Tatsache, dass es sich bei Decidim um eine Open-Source-Software handelt. Das bedeutet, dass der Code für Dritte einsehbar ist, entsprechend genutzt und geändert werden kann. So kann die Software auch von anderen Städten angewendet werden, wie es aktuell in rund 80 Städten weltweit der Fall ist. «Von der Plattform soll nicht ein einzelnes Privatunternehmen profitieren, das zudem noch die Entscheidungsmacht über die Daten der Nutzerinnen und Nutzer hat», betont Arnau Monterde. «Eine demokratische Plattform muss auch demokratisch implementiert werden.» Aus diesem Grund wird Decidim zusammen mit Metadecidim entwickelt, einer offenen Community, die unter anderem aus Entwicklerinnen und Entwicklern, Designerinnen und Designern besteht, aber auch allen Interessierten offensteht. Jede und jeder kann Fehler melden oder Verbesserungsvorschläge einreichen. «Metadecidim wurde aus der Überlegung gegründet, ein Ökosystem zu schaffen, das öffentlich geregelt ist und nicht in der Hand eines privaten Tech-Unternehmens liegt», so Monterde.
Um die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, hat die Stadt Barcelona ethische digitale Standards etabliert, wonach sich auch der ‹Social Contract› von Decidim richtet. Diese regeln beispielsweise, dass die Entscheidungsmacht über die eigenen Daten stets bei den jeweiligen Nutzerinnen und Nutzern liegt, oder auch, dass der politische Prozess auf Decidim jederzeit transparent und nachvollziehbar sein muss. «Nur so kann eine digitale Demokratie nachhaltig sein», sagt Arnau Monterde abschliessend.
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Digitale Partizipation auch in Zürich erprobt
Rund 80 Städte konnten die Open-Source-Software Decidim bereits anwenden. 2020 will auch Zürich im Rahmen des Pilotprojekts Quartieridee die partizipative Plattform testen. Vor der Corona-Pandemie war geplant, dass die gesamtstädtische Bevölkerung im Frühling während zwei Monaten Ideen hätte einreichen können, die im Quartier Wipkingen umgesetzt werden sollen. Ein neuer Termin ist noch offen. Update Ende September 2020: Der Pilot ist gestartet und kann auf der angegebenen Webseite verfolgt werden. Wir wünschen viele spannende Ideen und Umsetzungen!
Für die Umsetzung von Ideen im Rahmen dieses Pilotprojekts stehen insgesamt CHF 40’000 zur Verfügung. «Einige Ideen können vom Quartier in Eigenregie umgesetzt werden, beispielsweise wenn es um die Durchführung eines Public Viewings geht», sagt Maximilian Stern, Projektleiter der Abteilung Smart City Zürich. «Andere fallen in den Kompetenzbereich der Stadt, zum Beispiel dort, wo es Bewilligungen braucht oder wo Leistungen von städtischen Dienstabteilungen gefragt sind.» Aus diesem Grund wird zwischen Einreichung und Abstimmung definiert, für welche Ideen die Stadt zuständig ist und welche überhaupt umsetzbar sind.
Ideen einreichen und darüber abstimmen können übrigens nicht nur die stimmberechtigten Bewohnerinnen und Bewohner vom Quartier. «Wir möchten das Projekt möglichst inklusiv gestalten», erklärt Maximilian Stern. «Es können alle teilnehmen: Ausländerinnen und Ausländer, aber auch Minderjährige.» Aus diesem Grund wird es, ähnlich wie in Barcelona, nicht nur Online, sondern auch im Rahmen von Veranstaltungen im Quartier möglich sein, die eigenen Ideen einzureichen. Dank solcher Smart-City-Anwendungen bekommt der Begriff «stimmberechtigt» in den nächsten Jahren vielleicht eine treffendere Bedeutung.
Das Pilotprojekt wird im Rahmen der Smart-City-Strategie der Stadt Zürich umgesetzt und neu terminiert, sobald die Auswirkungen der aktuellen Situation abschätzbar sind.
Der bekannte Name hinter Decidim ist Francesca Bria. Die Italienerin gilt als digitale Strategin und war an der Etablierung von Decidim massgeblich beteiligt. Bis 2019 war sie Chief Technology und Digital Innovation Officer in Barcelona und setzte sich für die Entwicklung einer smarten Stadt ein, die nicht nur digital, sondern auch sozial nachhaltig ist.
An der re:publica 2019 sprach Francesca Bria über partizipative Plattformen, Privatsphäre und demokratische Teilhabe.
Smart City Zürich – mit ewz
ewz unterstützt verschiedenste Smart-City-Projekte und -Aktivitäten, auch zusammen mit anderen städtischen Dienstabteilungen. Basierend auf dem LoRaWAN und Konnektivitäts-Services wurden u.a. Anwendungen für die intelligente Bewirtschaftung von Parkplätzen, die Überwachung von Grundwasserpegeln für eine Energiezentrale oder die Optimierung des Raumklimas in Büros realisiert. Für die neuen digitalen Stadtpläne, die sogenannten eCitypläne, liefert ewz 100% erneuerbare Energie, den Glasfaseranschluss sowie dort öffentlich verfügbares WLAN.