«Zürich soll die smarteste City der Welt werden»
Die Schwarm-Mentalität
Die alte Industrie geht, die neue kommt: «Rheinmetall Defence» steht zwar auf der Gebäudetafel, doch die Waffenfirma belegt gerade noch einen halben Stock des riesigen Bürogebäudes in Zürich Oerlikon. Dafür breiten sich junge Firmen aus, beispielsweise Akenza. Das Start-up ist eine treibende Kraft in der Schweiz im Bereich des «Internet of Things» (IoT). Damit ist die Idee gemeint, Dinge («things») zu vernetzen und sie dadurch intelligenter zu machen.
Akenza will nichts weniger, als «Zürich zur smartesten City der Welt zu machen», wie Vikram Bhatnagar, Mitgründer und CEO, mit der Unverfrorenheit des Jungunternehmers verkündet. Doch wie soll das gehen? Was meint er damit? Und was bedeutet das für die Stadt?
Im Volksmund wurde IoT berühmt durch den mit dem Internet verbundenen Kühlschrank, der selbstständig Nachschub bestellt (und den eigentlich niemand braucht). «Diese Zeiten sind längst vorbei», sagt Bhatnagar. Für ihn macht der smarte Kühlschrank beispielsweise dann Sinn, wenn pharmazeutische Produkte transportiert werden und die Temperatur mittels Steuerung konstant gehalten werden muss. Im heimischen Kühlschrank kann man aber die richtige Kühlschranktemperatur auch von Hand einstellten.
Auf diese Art denkt Akenza über die Welt nach. Doch es geht nicht um den einzelnen Kühlschrank, sondern um Gebäude, Fensterläden, die Wärme- und Kälteversorgung, um Parklätze, Toiletten, ja um die Infrastruktur einer ganzen Stadt. Dafür benutzt Bhatnagar gerne den Begriff der Smart City. Das Magazin «Wired», die publizistische Instanz der Technologiewelt, schreibt: «Smart Cities können die schlimmsten Probleme des Grossstadtlebens lösen.» Ein Report von McKinsey & Co kommt zum Schluss, dass Smart Cities unter anderem die Kriminalitätsrate um 30–40 Prozent, die Pendelzeit um 15–30 Minuten und den Wasserverbrauch um 25–80 Liter Wasser pro Person senken konnten.
Die Riesenchance
2023 belegt die Stadt Zürich den ersten Platz des internationalen «Smart City Index». Die Limmatstadt ist aktuell die smarteste der Welt und schlägt als Smart City sogar Oslo, Canberra oder Kopenhagen.
Ein anderes Beispie: Die indische Millionenmetropole Delhi implementiert zurzeit ein smartes Verkehrsleitsystem, denn die verstopften Strassen kosten die Stadt pro Jahr knapp 10 Milliarden Dollar, die Durchschnittgeschwindigkeit des Verkehrs liegt bei gerade einmal 20 km/h, und die Luftqualität ist prekär. Vikram Bhatnagar wollte kürzlich einen neuen Luftqualitätssensor testen, doch der Zeiger bewegte sich gar nicht – erst als er ihn nach Indien mitnahm, schlug die Messskala an.
Ob ein Bus schneller oder langsamer über das Central in Zürich rollt, scheint auf den ersten Blick eine Nebensächlichkeit zu sein. Doch gerade für Zürich sei die Smart City eine «Riesenchance», meint Vikram Bhatnagar. Um das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen, seien zwingend Technologien nötig, «welche die bestehende Infrastruktur effizienter – vor allem auch energieeffizienter – machen». Zudem führten intelligente Geräte oft zu grossen Kosteneinsparungen. Ein einfaches Beispiel: Ist eine Firma zentral über die Füllstände von Getränkeautomaten oder Druckerpatronen im Bild, kann sie den Einsatz des Nachfüll-Personals und des Einkaufs sowie die Transporte optimal planen. «Solche kleinen Beispiele», sagt Vikram Bhatnagar, «gibt es zu Abertausenden in der Stadt.»
Krankheitstage reduziert, Produktivität gesteigert
Vikram Bhatnagar, ein 32-jähriger gebürtiger Inder mit ausgeprägtem Baslerakzent, sucht seine Umwelt permanent nach Optimierungsmöglichkeiten ab. «Wäre dieser Rollladen elektrisch», Bhatnagar zeigt auf ein grosses Fenster des angejahrten Gebäudes, «könnte ich seine Steuerung mit verschiedenen Umgebungsdaten abgleichen und mit der gesamten Haustechnik verbinden – so liesse sich die Luftqualität und damit das Wohlbefinden der Mitarbeitenden markant verbessern. Und es liesse sich einiges an Kosten und Energie sparen.»
Solche Projekte sind es, die Akenza begleitet. Ein Beispiel: «Zusammen mit ewz haben wir begonnen, die Luftqualität in vielen Gebäuden der Stadt zu messen, die Daten zentral zu sammeln und zu analysieren, um das Raumklima zu verbessern.» Bei einem anderen Kunden, der die Luftqualität in seinen Büroräumlichkeiten seit einiger Zeit misst, wurde festgestellt, dass die Luft am Nachmittag jeweils zu trocken war. Das System wurde mit der Haustechnik verbunden, so konnte die Luftqualität in Echtzeit verbessert werden. «Die Vorher/Nachher-Befragungen zeigten eindrücklich, wie viel besser es den Menschen ging: Ihre Stimmbänder waren weniger gereizt, und sie fühlten sich weniger müde», sagt Vikram Bhatnagar. Auf diese einfache Art konnten ausserdem die Krankheitstage reduziert und die Produktivität gesteigert werden.
Von Zürich für die Welt, wie Google, Facebook oder Disney
Die Rolle von Akenza in solchen IoT-Projekten? Sie bauen so etwas wie das Hirn der Datenflüsse: «Die Daten kommen über ganz unterschiedliche Kanäle herein», erklärt Bhatnagar, «das können Funknetze wie LoRaWAN oder das Glasfasernetz sein, Gebäudeleitsysteme, Bluetooth oder ein Mobilfunknetz.» Akenza verwaltet, verarbeitet und konsolidiert diese Datenflüsse auf dem Akenza Core System, das seinerseits kompatibel ist mit dem System der Kunden – sei dies eine Microsoft-, SAP- oder Salesforce-Welt – und visualisiert die Daten, so dass man sie einfach verstehen und Handlungen davon ableiten kann.
Akenza startete 2017, noch unter dem Namen Hivemind, und beschäftigt heute bereits 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; im Büro wird ein Mix zwischen Deutsch und Englisch gesprochen. Die meisten Projekte stammen noch aus der Schweiz, doch Vikram Bhatnagar verfolgt eine aggressive Wachstumsstrategie. Ziel ist, in fünf Jahren das weltweit führende IoT-System anzubieten, basierend auf den Erkenntnissen aus Zürich. Das Marktforschungsinstitut IDC schätzt den globalen IoT-Markt derzeit auf 726 Milliarden Dollar, bis 2023 soll er auf 1,1 Billionen Dollar wachsen.
Zürich als Firmenstandort ist unbestritten: «Von der Öffentlichkeit vielleicht etwas unbemerkt, ist die Stadt zu einem internationalen Hotspot für IT geworden», sagt Bhatnagar. Die stetig wachsende Präsenz von Firmen wie Google, Facebook oder Disney zeige, «wie man von Zürich aus Lösungen für die Welt entwickeln kann». Der Innovationspark in Dübendorf verleihe der ganzen Branche einen weiteren Schub – Akenza hat dort auch ein Projekt implementiert.
Smart Parking mit Batterien, die mehrere Jahre halten
Es gibt viele weitere Beispiele, wo Städte in der Schweiz oder auch Dinge «smarter» werden könnten: Wenn Parkplätze «melden», ob sie belegt sind oder nicht, kann die Parkplatzsuche und der dazugehörige Suchverkehr reduziert werden. Weiss man, wie oft und wann eine Toilette genutzt wird, lässt sich das Putzpersonal effizienter einsetzen. Und, und, und.
Ist die Stadt der Zukunft voller Sensoren? Und brauchen die dann nicht auch sehr viel Strom? Dazu haben wir beim städtischen Elektrizitätswerk nachgefragt: «Bei jedem Anwendungsfall muss man sich genau überlegen, was man messen will und welchen Nutzen man für welche Zielgruppe erzeugen will», sagt Marcus Cathomen von ewz. «Und bevor man etwas breit ausrollt, sollte die technische Lösung getestet und der Nutzen nachgewiesen werden, beispielsweise im Rahmen eines Pilotprojekts.»
Cathomen nennt ein Beispiel, bei welchem mit der Dienstabteilung Verkehr und der «Organisation und Informatik Zürich» 185 Parkplätze beim Hallenstadion in Oerlikon mit Sensoren ausgerüstet und ins Parkleitsystem der Stadt Zürich integriert wurden. «Aus diesem Pilotprojekt haben wir viele Erkenntnisse für weitere Zürcher IoT-Projekte gewonnen.»
Um Sensoren stadtweit einsetzen zu können, insbesondere da, wo es keine Stromversorgung oder Datenverbindung wie Glasfaser gibt, realisiert ewz deshalb ein drahtloses IoT-Netzwerk auf der Basis der sogenannten LoRaWAN-Technologie – ein Bestandteil zur Smart City Zürich Strategie. LoRaWAN steht für Long Range Wide Area Network, damit ist gemeint, dass das Netz eine grosse Reichweite hat. Die Bandbreite für die Datenübertragung ist bei dieser Technologie zudem sehr tief – was bei IoT-Anwendungen meistens genau richtig ist. Dafür brauchen LoRaWAN-Sensoren so wenig Strom, dass sie batteriebetrieben werden und je nach Anwendungsfall bis zu mehreren Jahren autonom funktionieren.
Yoga statt Pizza
Im Akenza-Büro in Oerlikon platzt ein Mitarbeiter ins Sitzungszimmer. Gleich beginnt die Yogastunde. «Wir mögen eine Softwarefirma sein», sagt Vikram Bhatnagar, «aber die Zeiten von Pizza und Bier sind definitiv vorbei.» Fitnessgeräte und Früchteschalen, die im Büro herumstehen, unterstreichen die Worte des Chefs.
Der erste Name der Firma war Hivemind – er musste aufgegeben werden, da er im Ausland bereits geschützt ist. Hive ist ein Bienenstock, Hivemind könnte man mit «Schwarm-Mentalität» übersetzen. Und genau darum geht es auch unter dem neuen Namen, sowohl bei ihren Produkten, als auch beim Team: aus ganz vielen Datenpunkten oder Mitarbeitenden das Beste herauszukristallisieren.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im September 2019
Dialog mit Stakeholdern
Neben dem Interviewgespräch für powernewz konnte sich ewz auch beim sogenannten Stakeholder-Forum 2019 mit Vikram Bhatnagar austauschen. In diesem Jahr war das Thema «Wie sieht die nachhaltige Stadt der Zukunft aus?», welches in einem offenen Dialog mit verschiedensten Anspruchsgruppen besprochen wurde. Hier ein kurzer Einblick: