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Dörte Bachmann sitzt auf einem farbigen Gartenstuhl und schaut in die Kamera.

Nachhaltig essen: «Ich bin das gute Gewissen»

«Wir müssen dringend etwas machen, aber das Richtige», sagt Dr. Dörte Bachmann. Die Leiterin des Nachhaltigkeitsprogramms der SV Group gestaltet das Umweltprogramm des grössten Personalgastronomie-Unternehmens der Schweiz rund um nachhaltiges Essen massgeblich mit. Portrait einer engagierten und erfrischend entspannten Umweltschützerin.

Manchmal steht Dörte Bachmann als Glücksfee am Glücksrad, schaut den Gästen des Mitarbeiterrestaurants beim Drehen am Rad zu und stellt ihnen daraufhin eine Frage zum Thema Essen. Welches Gemüse hat gerade Saison? Was bedeutet MSC?

Beantworten die Gäste die Frage richtig, erhalten sie ein Dessert oder einen Kaffee geschenkt. Glücksfee ist Dörte Bachmann aber nur nebenbei, normalerweise ist die Doktorin der Biologie als Leiterin des Nachhaltigkeitsprogramms der SV Group tätig. Mit rund 300 Mitarbeiterrestaurants und 5500 Mitarbeitenden in der Schweiz ist die SV Group nicht nur das grösste Schweizer Unternehmen im Bereich der Gemeinschaftsgastronomie, sondern auch Pionierin im Neuland des umweltbewussten Agierens – und Dörte Bachmann ist die Pfadfinderin dieses Aufbruchs.

Wenn die 34-jährige Deutsche Ideen zum Nachhaltigkeitsprogramm der SV Group einbringt, hört ihr auch die Konzernspitze genau zu. «Ich bin das gute Gewissen des Unternehmens», sagt sie schmunzelnd. Wenn sie von ihrem Beruf erzählt, beginnen ihre Augen zu leuchten.

Wir befinden uns im Personalrestaurant des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich, ewz, an dessen Hauptsitz in Zürich Oerlikon, das von der SV Group geführt wird. Für die Grösse des Unternehmens ewz ist das Lokal überraschend klein. Bachmann will uns zeigen, mit welchen Mitteln die SV Group die Nachhaltigkeit fördert und weist auf die energiesparenden Geräte hin.

Sie streicht die Bedeutung des vegetarischen Angebots hervor, erklärt, dass die SV Group auf Flugwaren weitestgehend verzichtet und Produkte regional einkauft: «Die ewz-Cafeteria ist ein vorbildlicher Betrieb.» Das liege einerseits an der aufgeschlossenen Restaurant-Managerin, aber auch sehr an den Kundinnen und Kunden – den ewz-Mitarbeitenden also. 2018 gewann der Betrieb den Klimawettbewerb der Stadt Zürich. 

Eine runde Uhr, die an der Wand in der Mensa hängt.
Vier Personen in der Mensa an einem Tisch am essen.
Blick in die Küche.
Nahaufnahme von Händen, die einen Kürbis in Stücke schneiden.
Nahaufnahme wie ein Angestellter eine Schale mit Gemüse füllt.
«Gewissensberuhigung nützt niemandem. Nicht die Verpackung hat die grösste Hebelwirkung beim Essen, sondern der Inhalt.»

Dann nimmt Bachmann einen violetten Plastikteller zur Hand, er ist Teil des «reCIRCLE» genannten Mehrwegsystems für Take-away-Geschirr. «Die Verpackung macht in den meisten Fällen nur einen kleinen Teil der Umweltbelastung aus», meint sie mit leichtem Bedauern. Beim Umweltschutz müsse man genau hinschauen, denn was nach einem grossen Schritt aussehe, bringe manchmal weniger als vermutet.

«Gewissensberuhigung nützt niemandem», sagt sie und spricht vom «Hebel»: «Nicht die Verpackung hat die grösste Hebelwirkung beim Essen, sondern der Inhalt.» Als grösster Verursacher der CO2-Belastung nennt sie den Fleischkonsum. Als Flexitarierin esse sie zwar auch hin und wieder Fleisch, aber sehr wenig und bewusst.

Die violetten Plastikteller gestapelt in einem Regal.
Nahaufnahme eines mit Essen gefüllten violetten Plastiktellers.
Nahaufnahme eines mit Essen gefüllten violetten Plastiktellers.

Praxis statt akademische Laufbahn

Geboren und aufgewachsen ist Bachmann in Halle in der Nähe von Leipzig. Die Stimmung in Ostdeutschland habe sie geprägt: «Ich wuchs mit einem Gefühl des Zusammenhalts und des Verantwortungsbewusstseins auf.» Ursprünglich wollte sie zwar Neurobiologie studieren, ein Uni-Professor weckte jedoch ihr Interesse für Botanik, und sie entdeckte ihre Begeisterung für die Zusammenhänge von Tieren und Pflanzen. «Damals hatte ich keinen Plan von Landwirtschaft», sagt sie und lacht.

Sie begab sich aufs Feld der Pflanzenökologie, fand an der ETH Zürich eine Stelle in diesem Bereich und schrieb ihre Doktorarbeit darüber. Der nächste Schritt hätte nun in eine akademische Laufbahn führen können, doch Bachmann zog es in die Praxis: «Ich wollte mit meinem Wissen etwas bewirken und Einfluss nehmen.» Und sie hatte eine weitere Stärke, die zum Einsatz kommen sollte: eine äusserst kommunikative Ader.

Porträt von Dörte Bachmann während dem Gespräch.
Wenn Dörte Bachmann spricht, sprudelt sie richtiggehend über.

Also absolvierte sie ein Praktikum beim Verein Foodwaste.ch, nahm an Kochevents teil und machte bei Ausstellungen mit. «Ich hatte mich immer für Ernährung interessiert», begründet sie ihre Entscheidung. Nach der Praxis beim Verein kehrte sie an die ETH zurück, um an einem Nachhaltigkeitsprojekt des von der ETH gegründeten World Food System Center mitzuarbeiten – wo sie einen der Väter des Nachhaltigkeitsprogramms der SV Group kennenlernte: den ehemaligen Marketingleiter Peter Lutz. Zusammen mit CEO Patrick Camele und dem Supply Chain Director Christian Keller-Hoehl brachte Lutz die SV Group auf den umweltschonenden Weg. «Peter Lutz holte mich ins Unternehmen», sagt sie und damit zu ihrer «Traumstelle». Denn hier konnte sie etwas bewirken.

Seit drei Jahren ist sie nun die Schnittstelle zwischen Kunden (der Firma, in der das Mitarbeiterrestaurant betrieben wird) und der SV Group, berät die Geschäftsleitung bei Umweltfragen und bringt eigene Ideen ein. Auf ihren Impuls wurde beispielsweise der vegetarische «Beyond Burger» entwickelt.

Statt Fleisch wird das Patty unter anderem aus Erbsen und Randen hergestellt. «Die SV Group setzt das Nachhaltigkeitsprogramm konsequent um», sagt sie nicht ohne Stolz. Als Nächstes möchte sie unter anderem das Thema Palmöl angehen. Um die Ziele zu erreichen, arbeite sie eng mit dem Einkauf, dem Marketing und dem Produktmanagement zusammen.

Ein mit Wasser gefüllter Glaskrug.
Glasbehälter zum Eigen-Ausschank, die verschiedene Fruchtsäften enthalten.
Eine junge Frau bedient sich am Früchtestand.

Das Geld bremst

Innerhalb des Unternehmens kommt Bachmann mittlerweile auch bei den Mitarbeitenden eine Vorbildrolle zu. «Sie fragen mich auch, was sie privat für den Umweltschutz tun können», sagt sie und fährt lächelnd fort: «Und schauen mich schief an, wenn ich mal Fleisch esse.»

Das Umweltbewusstsein dürfe nicht mit Zwang, sondern müsse über die Lust geweckt werden. «Informieren statt belehren», nennt es Bachmann, die sich selbst ebenfalls nicht als Hardcore-Umweltschützerin sieht: «Ich trenne zuhause den Abfall, trinke keine Milch und habe beim Licht auf LED umgestellt.» Als Mensch habe sie eine Verantwortung, sie sei aber auch nicht perfekt. «Umwelthysterie ist fehl am Platz», fügt sie an. Es ärgere sie manchmal, dass sich beim Thema Umweltschutz zuweilen wenig fundierte Meinungen durchsetzen.

In der Gemeinschaftsgastronomie hängt die Nachhaltigkeit zudem stark vom Verantwortungsbewusstsein der Kundinnen und Kunden ab. Doch nachhaltig essen kostet, und so sieht sich Bachmann immer wieder mit Widerständen konfrontiert. Zwar besteht die SV Group auf der Einhaltung von Standards und setzt auf die Zusammenarbeit mit dem WWF Schweiz, dem Schweizer Tierschutz STS und dem Label IP-SUISSE. Es liege aber am Kunden, wie weit er darüber hinausgehen will.

Als Argument dienen Bachmann Zahlen. Seit dem Start des Nachhaltigkeitsprogramms «ONE TWO WE» der SV Group im Jahr 2013 konnten die CO2-Emissionen pro Mahlzeit um neun Prozent reduziert werden. Alle drei Jahre sollen weitere zehn Prozent dazukommen. Ende 2018 kamen zudem über die Hälfte der Fleischprodukte aus tierfreundlicher Haltung. Food Waste wurde um 40 Prozent auf 36 Gramm verringert (nationaler Durchschnitt: 124 Gramm).

Bachmann kann, ohne nachzuschauen, weitere Zahlen aus dem Ärmel schütteln und nimmt eine Tasse Kaffee als Beispiel: Die leere Tasse belaste die Erde mit 8 Umweltbelastungspunkten (UBP). Ein Kartonbecher zähle 40 UBPs. Das Kaffeepulver alleine verbrauche jedoch 3000 UBPs! «Bei den Verpackungen haben Einweggläser die schlechteste Bilanz», sagt sie; PET sei hingegen sogar besser als Mehrweggläser, die gewaschen und wiederverwendet werden.

Ein Kühlregal mit Getränken.
«Mitarbeitende schauen mich schief an, wenn ich mal Fleisch esse.» 
Ein mit Ananasschnitzen gefülltes Aufbewahrungsglas, das in einem Kühlregal steht.
Die Hände einer Person, die einen Ice Tea aus dem Regal nehmen.

Überzeugen mit sanftem Anstoss

Damit kommt sie auf den entscheidenden Aspekt zu sprechen – auf den genauen Blick. Die SV Group habe zum Beispiel entschieden, Lieferungen an die Restaurants über einen zentralen Verteiler abzuwickeln. Damit konnte ein Drittel der Emissionen durch Transporte eingespart werden. Bachmann sagt dazu: «Die Einsparung entspricht dem Verbrauch von 220 Kilogramm Rindfleisch.»

Der Gesamtverbrauch von Fleisch in der Schweiz lag 2017 aber bei über 427’000 Tonnen – jährlich 50 Kilogramm pro Kopf, bei Rindfleisch sind es 11 Kilogramm. So gesehen hätten zwanzig Personen mit dem Verzicht auf Rindfleisch die ganze Einsparung beim Transport reingeholt. 

Allerdings will in der Schweiz kaum jemand freiwillig auf Fleisch verzichten – wohl auch, weil Verzicht in Zeiten des maximalen Ausschöpfens des Lebens zu einem Tabuwort geworden ist. «Wir wissen, was es braucht – aber kaum jemand will etwas ändern», sagt sie. Bachmann hofft deshalb auch aufs wachsende Gesundheitsbewusstsein, zu dem der reduzierte Fleischkonsum gehört: «Wir versuchen, die Gäste ausserdem über ‹Nudging› zu beeinflussen.», sagt sie.

Nudging bedeutet, dass zum Beispiel vegetarische Angebote besonders attraktiv angerichtet werden – sanft werden die Gäste so zu einem alternativen Verhalten angestossen. Eine weitere Idee wäre, so Bachmann, nur noch vegetarische Menüs zu subventionieren – die Nachfrage also übers Geld zu steuern. «Noch fehlt uns die richtige Lösung», gibt Bachmann aber zu. 

Statt sich zu grämen, setzt sie sich jedoch lieber mit persönlichem Einsatz für das wachsende Bewusstsein ein und geht selbst auf die Gäste zu. Zum Beispiel, indem sie als Glücksfee am Glücksrad versucht, den einen oder anderen Gast zu einem nachhaltigen Konsum zu bewegen – und so eine glücklichere Umwelt zu unterstützen.

Die SV Group

Ihren Ursprung hat die SV Group 1914, als die Visionärin Else Züblin-Spiller den Schweizer Verband Soldatenwohl gründete. Soldaten, die während des ersten Weltkriegs die Grenze bewachten, sollten in den Soldatenstuben Wärme und preiswertes Essen ohne Alkohol finden. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich der später SV Service genannte Verein zum grössten Personalgastronomie-Unternehmen der Schweiz und wurde 1999 in die Aktiengesellschaft SV Group und die SV Stiftung als Hauptaktionärin aufgeteilt.

2018 beschäftigte die SV Group in der Schweiz, Deutschland und Österreich 8273 Mitarbeitende, betrieb 565 Gemeinschafts- und 19 öffentliche Restaurants sowie 10 Hotels. Zur SV Group gehört auch das in Urdorf (ZH) ansässige Event-Catering-Unternehmen dine&shine.

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Bisherige Kommentare (2)
Soryy nein sagt:

Hey EWZ

Schaut doch zuerst mal dass ihr nicht dauernd Totalausfälle habt die ganze Quartiere lahmlegen bevor ihr euren Kunden vorschreibt wie sie sich zu ernähren haben????

Sind wir in der DDR?

powernewz-Team sagt:

Guten Tag. Welche von Ihnen als «Totalausfälle ganzer Quartiere» meinen Sie? Eine Messgrösse, welche die Energiebranche verwendet, um die Versorgungssicherheit zu charakterisieren, ist der «System Average Interruption Duration Index» (SAIDI). Dieser Index misst die Zuverlässigkeit des Verteilnetzes und gibt die durchschnittliche Unterbrechungsdauer pro Kunde und Kundin pro Jahr an. Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, dass es keinen Trend zu mehr oder weniger Stromausfällen in der Stadt Zürich in den letzten Jahren gibt. Die Dauer und Häufigkeit variiert je nach Vorkommnisse und Jahr. Mehr als 40% der Stromausfälle in der Stadt Zürich werden übrigens durch Bauarbeiten verursacht. ewz sensibilisiert deshalb immer wieder Baufirmen auf die Gefahren und Kosten durch die Beschädigung elektrischer Leitungen und ist in einem Fall auch gegen ein Bauunternehmen gerichtlich vorgegangen.
Der Artikel zu nachhaltiger Ernährung in- und ausserhalb von Cafeterias soll gerne inspirieren, wir suchen als Unternehmen und Privatpersonen immer wieder Aspekte, wie wir unseren Alltag nachhaltiger gestalten können.