Ist Abwasser das Heizöl von morgen?
In Zürich Altstetten und Höngg sollen in einem Energieverbund als Energiequelle das gereinigte Abwasser aus dem Klärwerk Werdhölzli und die Abwärme aus der Klärschlammverwertung genutzt werden. Mit dem Projekt wird nicht nur günstige und umweltfreundliche Energie gewonnen, sondern es bedeutet für die Stadt Zürich auch einen entscheidenden Schritt in Richtung 2000-Watt-Gesellschaft.
Je lokaler Energie produziert wird, desto weniger geht durch den Transport verloren. Umweltschonend ist auch, wenn die Energie dabei aus dem eigenen Abfallkreislauf kommt und auch noch Treibhausgase verhindert. Dieses Ziel verfolgt der Energieverbund Altstetten, indem er als Energiequelle die Abwärme des gereinigten Abwassers und der Klärschlammverwertungsanlage für die umweltfreundliche Wärme- und Kälteversorgung von Liegenschaften verwendet.
Es funktioniert: Energieverbund Schlieren seit über zehn Jahren erfolgreich im Markt
Impulsgeber für den Energieverbund Altstetten ist der von ewz realisierte und betriebene Energieverbund Schlieren. Er versorgt seit mehr als zehn Jahren die Liegenschaften von über 70 Kundinnen und Kunden zuverlässig, kostengünstig und umweltschonend mit Wärme und Kälte. Zunächst wurde im Jahr 2006 eine 1,5 km lange Leitung von der Pumpstation des Klärwerks Werdhölzli zum Briefzentrum Post Mülligen verlegt. Dort wurde eine erste Energiezentrale mit einer Ammoniak-Wärmepumpe installiert.
In einer weiteren Etappe nahm der Energieverbund Schlieren die Energiezentrale Rietbach in Betrieb, um Liegenschaften wie Bürogebäude, Dienstleistungsunternehmen, Baumärkte und verschiedene Wohnsiedlungen zu versorgen. Diese baulichen Massnahmen rechnen sich nicht nur in Bezug auf die Kunden, sondern auch die Umwelt: 34’430 MWh oder 3,4 Millionen Liter Heizöl werden vom Energieverbund Schlieren jährlich gespart. Das entspricht einer CO2-Reduktion von 8310 Tonnen oder 7226 Flügen nach New York. Zum Zuge kommt hier wie beim geplanten Energieverbund Altstetten die Technologie der Abwärmenutzung.
Gereinigtes Abwasser doppelt wiederverwenden
Der Energieverbund Altstetten nutzt mit dem gereinigten Abwasser aus dem Klärwerk Werdhölzli die gleiche Energiequelle wie der Energieverbund Schlieren. Das gereinigte Abwasser des Klärwerks Werdhölzli hat eine Eigenwärme, die im Gebäude zur Abwärmenutzung ins Anergieleitungsnetz (einen mit Wasser betriebenen Zwischenkreis) überführt wird. Dieses Netz wiederum dient als Energiequelle für die Wärmepumpen der erschlossenen Gebiete.
Die Wärmepumpen stellen die gewünschte Heizwassertemperatur her und verteilen diese über das Fernwärmenetz zu den Kunden. Das Fernkältenetz zur klimatischen Kühlung funktioniert nach dem gleichen Prinzip – nur umgekehrt: Die Wärme wird hier abtransportiert und wieder ins Energieleitungsnetz gespiesen. Neben der Fernwärme aus dem gereinigten Abwasser soll der Energieverbund Altstetten auch die Abwärme aus dem Klärschlamm gewinnen, welcher ERZ aus der Stadt und dem Kanton bezieht und im Werdhölzli verbrennt.
Der Energieverbund folgt dem Prinzip regionaler Wärmeversorgung und trägt dazu bei, Altstetten und Höngg umweltfreundlich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig erfüllt er die aktuellen und künftigen energiepolitischen Anforderungen; er wurde mit knapp 88% Ja-Stimmen von der Stadtzürcher Bevölkerung in die Realisierung geschickt.
Grosses Nachhaltigkeits-Potenzial
Mit der Annahme des Energieverbunds durch die Zürcher Stimmbevölkerung im Februar 2019 hat nun die erste Bauetappe in Altstetten-Nord und Höngg begonnen. Kunden hat ewz in diesem Gebiet bereits gefunden. So könnten bis 2020 bereits erste Liegenschaften mit Fernwärme versorgt werden.
Auch die neue Eishockey- und Sportarena der ZSC Lions soll in dieser ersten Phase ans Netz angeschlossen werden. Die Arena bietet Platz für 12’000 Fans und soll voraussichtlich im Juli 2022 in Betrieb genommen werden. An diesem Beispiel zeigt sich besonders gut, wie die Kombination von Fernwärme- und Kältenetz nachhaltige Synergien schafft: Um das Eisfeld unter dem Gefrierpunkt zu halten, führt das Fernkältenetz seine Wärme ab, welche wiederum zur Heizung von Liegenschaften verwendet werden kann.
In einer zweiten Etappe würde das Fernwärmenetz des Energieverbundes verdichtet werden, aber wie schon in der ersten Etappe wird sich auch hier das Mass des Ausbaus an die Nachfrage anpassen. In einer dritten Etappe würde schliesslich die Anergieleitung bis zum ewz-Energieverbund Flurstrasse verlängert und somit die Voraussetzung geschaffen, dass auch Altstetten-Mitte und -Süd langfristig Zugang zum Fernwärme- und Kältenetz erhalten können.
Heute beziehen die beiden Quartiere Altstetten und Höngg Wärme vor allem über das Gasnetz. Mit dem Energieverbund Altstetten strebt ewz eine Fernwärme-Erschliessung von 30’000 Haushalten an, was einer CO2-Verminderung von ungefähr 30’000 Tonnen entspricht. Damit bewegt sich das Projekt genau auf Kurs für die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft und ist eines von vielen ewz-Projekten im Bereich Energielösungen.
Weitere wegweisende Projekte im Bereich Wärme- und Kälteversorgung sind beispielsweise der Seewasserverbund Zürich, wo Seethermie als Energie genutzt wird, oder der Wärmeverbund Käferberg.
Das Ziel ist die 2000-Watt-Gesellschaft
Dank der Abstimmenden im Jahr 2008 ist die 2000-Watt-Gesellschaft in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich verankert. Dies beinhaltet nicht nur das Ziel, den Energiekonsum pro Person auf 2000 Watt zu senken, sondern auch die Förderung der erneuerbaren Energien, um den Ausstoss der Treibhausgase bis 2050 auf eine Tonne pro Person und Jahr zu reduzieren.
Neue Studien zeigen zwar, dass diese Ziele nicht hoch genug sind, um den Klimawandel aufzuhalten. Deshalb braucht es umso mehr ambitionierte Projekte wie den Energieverbund Altstetten.
Lieber zuhören als lesen?
Im Interview erklärt Christoph Deiss, Leiter Energielösungen bei ewz, das Projekt.